Anspruch auf Medikamente zur Selbsttötung gilt nur in Ausnahmesituationen

Schwerkranken Menschen darf der Zugang zu Betäubungsmitteln, die einen würdigen und schmerzlosen Suizid ermöglichen, in extremen Ausnahmesituationen nicht verwehrt werden. Es sei hingegen nicht möglich, den Erwerb derartiger Substanzen zum Zweck der Selbsttötung grundsätzlich zu erlauben. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.

Der Kläger war nach einem Unfall seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau im Jahre 2002 für diese vor Gericht gezogen, nachdem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine 2004 beantragte Erlaubnis zum Kauf einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung abgelehnt hatte. Er verlangte die Feststellung, dass die Verweigerung der tödlichen Arzneidosis rechtswidrig war. Die Ehefrau war vom Hals abwärts vollständig gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war ständig auf medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Hinzu kamen häufige Krampfanfälle, die mit starken Schmerzen einhergingen. Ihren Zustand empfand die Frau als unerträglich und entwürdigend. Nach der Ablehnung des BfArM reiste das Paar 2005 in die Schweiz, wo die Frau mit Hilfe des Vereins Dignitas Suizid beging.

Der Ehemann scheiterte jedoch sogar beim Bundesverfassungsgericht. Er könne nicht klagen, da er selbst nicht betroffen gewesen sei, hieß es zur Begründung. Gegen diese Rechtsauffassung klagte der Mann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Dieser entschied 2012, dass der Mann Anspruch auf eine Entscheidung habe. Allerdings blieb der Kläger in dem daraufhin wiederaufgenommenen Verfahren zunächst weiterhin ohne Erfolg. Die maßgeblichen Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BTMG) ließen keine Ermessensentscheidung zu, die im vorliegenden Fall zu einer Erlaubnis durch das BfArM hätte führen können, heißt es beispielsweise in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen. Der Zweck der Selbsttötung laufe dem Gesetzeszweck zuwider, „die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen“ (Paragraf 5 Absatz 1 Nummer 6 BTMG).

Das Bundesverwaltungsgericht hob diese Urteile nun auf und stellte fest, dass die Verweigerung des Medikaments zur Selbsttötung rechtswidrig gewesen war. Die Richter verwiesen in ihrer Begründung ausdrücklich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Selbstbestimmungsrecht umfasse „auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll“. Voraussetzung sei, dass der Patient seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln kann und es keine palliativmedizinischen Alternativen gibt. Daraus könne sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Zugang zu einem Betäubungsmittel, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, nicht verwehrt werden darf. Die Rechtswidrigkeit der Ablehnung des BfArM bestehe darin, dass es versäumt hat, diese Umstände im Vorfeld geprüft zu haben.

Az: 3 C 19.15