Müller: Das Problem liegt tiefer

Die Präsidentin der Thüringischen Landesärztekammer Prof. Dr. Ellen Lundershausen machte jüngst einige Vorschläge zur Lösung des Ärztemangels, die aufhorchen ließen. Unter anderem wurde angeregt, eine Landarztquote und eine „Landeskinder“-Quote für Thüringen einzuführen, welche Abiturienten aus dem Freistaat bei der Zulassung zum Medizinstudium bei Erfüllung der formalen Anforderungen bevorzugt.
Hierzu stellt der Vorsitzende des Thüringer Hartmannbundes Dr. Jörg Müller fest: „Quotierungen würden in unseren Augen das vielschichtige Problem des Ärztemangels nicht lösen. Der Vorschlag von Frau Prof. Lundershausen, über Klebeeffekte nachzudenken, damit weniger junge Medizinerinnen und Mediziner Thüringen den Rücken zukehren, ist möglicherweise ein Teil der Lösung. Genauso wichtig ist es aus unserer Sicht aber auch, die strukturellen Ursachen in den Blick zu nehmen, weshalb sich so viele Ärzte komplett aus der medizinischen Versorgung verabschieden.“

Es sei alarmierend, dass diese Zahl seit Jahren steigt. Müller weiter: „So lange ständig arbeitsfähige Ärztinnen und Ärzte aus der Versorgung wegfallen, richten die bestgemeinten Maßnahmen zur Gewinnung des medizinischen Nachwuchses wenig aus – so wichtig diese auch sind.“ Als Beispiele für diese strukturellen Ursachen nannte Müller die hohe Arbeitsverdichtung, die zum Teil auf Personalmangel beruhe oder auch durch Überbürokratie infolge Überregulierung oder mangelnde Arbeitszeitgesetzeinhaltung entstehe. Aber auch die zunehmend unpersönliche Medizin fern ab vom Patienten sowie eine mangelnde Wertschätzung, die Ärzte auf ihre Rolle als Leistungserbringer reduziere, spielten eine Rolle. Ebenso die Pauschalen im ambulanten und stationären Bereich, die für viele Kolleginnen und Kollegen eher demotivierend wirken. „Alles in allem handelt es sich um das Ergebnis jahrzehntelanger politischer Fehlsteuerungen, die nur durch eine konzertierte Aktion der politischen Entscheidungsträger und Akteure im Gesundheitswesen behoben werden können. Wir Ärztinnen und Ärzte vom Hartmannbund sind gern bereit, uns im konstruktiven Dialog mit der Politik an den notwendigen Debatten zu beteiligen“, so Müller weiter.

Auch die Medizinstudentinnen und -studenten im Hartmannbund lehnen jegliche Quotierungen klar ab, wie ihr Ausschussvorsitzender Christian Wolfram deutlich machte. Der Jenaer Medizinstudent Dario-Lucas Helbing konkretisierte: „Wir begrüßen jedoch die von Frau Prof. Lundershausen gestartete Debatte und würden uns freuen, wenn wir im gemeinsamen Dialog weitere Anreizmöglichkeiten bzw. Lösungen zur Behebung der strukturellen Probleme in der medizinischen Versorgung entwickeln können.“ Dann wolle man Frau Prof. Lundershausen gerne auch detailliert erläutern, warum man die vorgeschlagenen Quoten ablehne.

Aus Sicht der Thüringer Studierenden im Hartmannbund greife die für die Einführung einer Landeskinderquote vorgebrachte Begründung, dass aktuell nur 26 Prozent der Erstsemester in der Humanmedizin aus Thüringen kämen und der Freistaat damit für andere Bundesländer ausbilde, zu kurz. „Es fällt unter den Tisch, dass Thüringer ja auch in anderen Bundesländern studieren können und es auch tun, in der Konsequenz bilden also umgekehrt auch andere Bundesländer für uns aus“, erklärte Helbing. Zum anderen lebe der medizinische Fortschritt wesentlich von Vielfalt und Meinungsaustausch, und viele Ideen, die an der Uni Jena entstünden, stammten von Menschen, die erst zum Studieren nach Thüringen gekommen seien. „Mit einer Quote würde Thüringen unter Umständen auf Studierende, die zu uns kommen wollen und potentiell auch unsere Versorgung und Forschung nach vorne bringen würden, verzichten – und das kann nicht in unserem Interesse sein. Daher halten wir die Quotierung nach Bundesländern – ebenso wie übrigens auch Nationen – für den falschen Weg“, so Helbing weiter.

In Bezug auf die Landarztquote erklärte Helbing, dass diese lebensfremd sei, da sich die Entscheidung für eine fachliche Spezialisierung in der Regel erst gegen Ende des Medizinstudiums und teilweise auch erst während der Weiterbildung ergebe. Zudem sei die Bindung an eine vorgegebene Region nicht mit der Freiheit des Arztberufs vereinbar. Die bei Nichterfüllung des Vertrags vorgesehenen Strafen seien kritisch zu sehen, da sie der Bildungsgerechtigkeit widersprächen. „Studierende mit entsprechendem finanziellen Hintergrund könnten sich einen Studienplatz durch Inkaufnahme der Vertragsstrafe am Ende „kaufen“. Diese Möglichkeit ist weniger wohlhabenden Studierenden nicht gegeben“, so Helbing abschließend.