„Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“

Der Vorsitzende des Landesverbandes Thüringen im Hartmannbund und Geraer Augenarzt Dr. Jörg Müller zeigte sich grundsätzlich offen gegenüber der gestern publik gewordenen Forderung der Barmer nach einer Zusammenarbeit der maßgeblichen Akteure aus Politik und Selbstverwaltung zur Neustrukturierung des Gesundheitswesens. Zugleich stellte Müller fest: „Wenn von Kassenseite jetzt mit Bedauern festgestellt wird, dass der Gesundheitssektor insgesamt unter Druck geraten sei, entbehrt dies nicht einer gewissen Ironie. Wenn man die Aussagen von Frau Dziuk liest, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Krankenkassen überhaupt nichts mit dem aktuellen von ihnen beklagten Zustand des Gesundheitswesens zu tun haben. Das ist natürlich falsch“.

„Eine solche Zusammenarbeit der maßgeblichen Akteure aus Politik und Selbstverwaltung für eine Neustrukturierung des Gesundheitswesens setzt in meinen Augen voraus, zunächst einmal verloren gegangenes Vertrauen aufzubauen. Davon sind wir heute, wo eine Staatsmedizin bis in die Praxisabläufe der Ärzteschaft hinein regiert, weiter entfernt als je zuvor.“  Nur die Spitze des Eisbergs aber das Paradebeispiel für diese Art von Politik, die die ärztlichen Leistungen nicht angemessen würdigt und stattdessen ständig neue Forderungen in Richtung Ärzteschaft aufstelle, sei dabei das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Dieses mache der Ärzteschaft in offensichtlicher Verkennung der Realitäten vor Ort Vorgaben für zusätzliche offene Sprechstunden, ohne Rücksicht auf die gesundheitlichen Folgen für die Kolleginnen und Kollegen, von denen viele bereits am und über dem Limit arbeiteten. Hinzu komme, dass die Versorgung der neuen Patientinnen und Patienten, die Woche für Woche aus den Folgeterminen der offenen Sprechstunden hervorgehen, zu Lasten des bereits bestehenden Patientenstammes und somit der chronisch erkrankten Patienten mit oft schweren Diagnosen gehe.

Diese politische Fehlsteuerung stünde in unrühmlicher Tradition einer Gesundheitspolitik aller bisherigen Regierungsparteien, die seit nunmehr zwanzig Jahren das vorher gut funktionierende deutsche Gesundheitssystem ineffizienter und teurer mache. „Wir Ärzte wissen, wer die politischen und finanziellen Entscheidungen gefällt hat. Wir haben lange und rechtzeitig vor den Folgen gewarnt. Die gesetzlichen Krankenkassen und die Politik wollten dieses nicht hören. Sie stehen nun vor dem von ihnen verursachten Scherbenhaufen und versuchen, die Schuld dafür von sich zu weisen.“

Aber auch die Rolle der ärztlichen Akteure der Selbstverwaltung sieht Müller kritisch. „Das jetzige System der Honorierung von Ärzten durch die gesetzlichen Krankenkassen hat keinerlei Leistungsbezug mehr und wirkt sich somit im Verbund mit Pauschalisierung und Budgetierung versorgungs- und leistungsfeindlich aus. Nicht wenige Ärzte fühlen sich von der KBV, die dieses System maßgeblich mitverantwortet, nicht mehr wirklich vertreten.“