Unter dem Leitmotiv „Gesundheitsversorgung weiterdenken – vernetzt, verantwortungsvoll, zukunftsfest – mit Perspektiven für den ärztlichen Nachwuchs“ kamen Ärztinnen und Ärzte, Studierende sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Verbänden zur Arbeitstagung Süd-West des Hartmannbundes in Ulm zusammen. Drei Tage lang wurde intensiv darüber diskutiert, wie Gesundheitsversorgung in Deutschland künftig resilienter, digitaler und attraktiver gestaltet werden kann.
Die vier Landesverbände nutzten die Tagung außerdem, um zentrale Entwicklungen aus ihren Regionen einzubringen.
Der Landesvorsitzende des Saarlandes, Dr. Jens Danielczok, verwies auf den kürzlich durchgeführten Digitalisierungskongress „Gesundheit 2030“ und unterstrich die Chancen regionaler Innovationspartnerschaften: „Im Saarland verfügen wir über führende Expertise in KI und Medizintechnologie – nutzen wir sie, um Versorgung spürbar zu verbessern.“ Wolfgang Gradel, Landesvorsitzender des Hartmannbundes Bayern, berichtete über Beschlüsse des Bayerischen Ärztetags, wo unter anderem eine bayerische Hartmannbundresolution zur Stärkung der digitalen Handlungskompetenz im gesamten Behandlungsteam verabschiedet wurde: „Eine moderne Versorgung gelingt nur, wenn alle Gesundheitsberufe digitale Kompetenzen gemeinsam weiterentwickeln können.“
Damit wurde bereits zu Beginn deutlich: Die Landesverbände entwickeln nicht nur inhaltliche Impulse vor Ort – sie bringen sie aktiv in die bundesweite Strategie des Hartmannbundes ein.
„Wir müssen Partikularinteressen überwinden und sektorübergreifende Kooperation als Kern ärztlicher Verantwortung begreifen“, ergänzte Klaus Rinkel, Landesvorsitzender des Hartmannbundes Baden-Württemberg und Gastgeber der Tagung. „Wir sind die Stimme aller Ärztinnen und Ärzte und müssen gerade in Zeiten des Umbruchs die gemeinsamen Interessen geschlossen nach außen vertreten.“
Dr. Antje Herold, Vorsitzende der Kreisärzteschaft Ulm, betonte im Grußwort, dass Reformen im Gesundheitswesen immer auch für den Alltag in Praxen und Kliniken gedacht und geplant werden müssen. Bürokratieabbau, digitale Prozesse und eine realistische Finanzierung seien dafür zentral. „Versorgung gelingt dort, wo Menschen Verantwortung übernehmen – in Praxen, Krankenhäusern, Regionen. Wir brauchen Entscheidungen, die genau dort den Unterschied machen.“ Eine stabile ambulante Struktur werde zunehmend herausfordernd – auch in Städten – angesichts von Personalmangel, steigenden Kosten und wachsender Dokumentationspflicht. „Wer die ambulante Versorgung stärkt, stärkt das gesamte System“, so Herold.
In den politischen Keynotes betonten die Landtagsabgeordneten Jochen Haußmann (FDP, BW) und Thorsten Freudenberger (CSU, BY), dass eine nachhaltige Versorgung nur durch ein abgestimmtes Zusammenspiel aller politischen Ebenen gelingen könne. Haußmann forderte „Wir brauchen mehr ärztliche Zeit, weniger Verwaltung und eine Kultur, die Vertrauen stärkt.“ Freudenberger mahnte: „Wer Versorgung umbaut, braucht Offenheit, Beteiligung und klare Finanzierungszusagen.“
Jürgen Graf (AOK Baden-Württemberg) zeigte in seinem Vortrag, wie Digitalisierung funktionieren kann, wenn sie Arbeitsabläufe erleichtert statt erschwert. Das Projekt DocPad – Galenus soll genau das leisten.
„Wenn Dokumentation kein Selbstzweck ist, wird Digitalisierung endlich sinnvoll.“ Er betonte die Bedeutung ärztlicher Steuerung bei digitalen Anwendungen, um Qualität und Akzeptanz im Alltag sicherzustellen.
Prof. Dr. Udo X. Kaisers (Universitätsklinikum Ulm) machte deutlich, dass Gesundheitseinrichtungen inzwischen strategische Infrastruktur sind, die vor Krisen geschützt werden müssen: „Ein Stromausfall im falschen Moment ist kein technischer Defekt, sondern ein medizinisches Ereignis.“ Er forderte verbindliche Resilienzpläne, damit Funktionalität der Versorgung auch im Ernstfall gewährleistet bleibt.
Kimberley Gärtner (Vorsitzende Studierende im Hartmannbund) warb für mehr Mitwirkungsmöglichkeiten junger Kolleginnen und Kollegen bereits während der Ausbildung: „Wir brauchen frühe Beteiligung, wenn wir später Verantwortung tragen sollen.“ Sie mahnte: Nachwuchsbindung beginnt im Studium — nicht erst im Dienstplan. Ähnlich gelagert war auch der Impuls von Sebastian Keller (fracto und Univertreter Mannheim). Er warnte vor dem Verlust motivierter Ärztinnen und Ärzte durch frustrierende Strukturen und fehlende Planbarkeit. „Wir verlieren Talente, wenn wir eine Arbeitskultur beibehalten, die Motivation erschöpft statt entfaltet.“ Er forderte Flexibilität, Transparenz und echte Entwicklungsperspektiven in Praxis und Klinik, das beinhaltet auch die Akzeptanz von New Work Konzepten innerhalb der Medizin.
Dr. Caroline Rinkel (Vorstand LV BW) stellte die AG Junge Pädiatrie vor, ein Zusammenschluss, der auf dem Weg zur Vereinsgründung ist. Am Beispiel der Pädiatrie und der AG Junge Pädiatrie zeigte sie, wie Vernetzung Versorgung und Berufsattraktivität steigern kann: „Kinder brauchen spezialisierte Versorgung – und dafür brauchen wir Menschen, die sich langfristig für das Fach begeistern.“ Sie betonte, dass Nachwuchsbindung Strukturen braucht, die mitwachsen.
Hannelore König und Jutta Napiwotzy (Verband medizinischer Fachberufe) zeigten abschließend, wie wichtig MFA für eine verlässliche und effiziente Behandlung sind – doch häufig ohne ausreichende rechtliche Handlungsspielräume. „Delegation ist keine Abgabe von Arbeit, sondern geteilte Verantwortung.“, so die beiden Vertreterinnen in Ihrem Abschlussstatement. Sie forderten mehr Befugnisse, mehr Wertschätzung und klare Kompetenzprofile für interprofessionelle Teamarbeit.
Die Arbeitstagung Süd-West in Ulm hat deutlich gemacht, dass die kommenden Herausforderungen im Gesundheitswesen auf drei ineinandergreifenden Ebenen bewältigt werden müssen: Resilienz, um Versorgung auch in Krisen stabil zu halten, Digitalisierung, um medizinische Arbeit zu entlasten und Qualität zu sichern sowie Nachwuchs- und Teamförderung, um ärztliche Verantwortung in allen Regionen langfristig zu gewährleisten. Auf diesen Ebenen müssen bürokratische Hürden abgebaut, Handlungsmöglichkeiten erweitert und Verantwortung gemeinsam getragen werden. Klaus Rinkel fasste das Selbstverständnis des Berufsstandes zusammen: „Wir Ärztinnen und Ärzte wollen Verantwortung übernehmen, für unsere Patientinnen und Patienten und für die Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems. Aber wir brauchen politische Entscheidungen, die uns das auch ermöglichen. Die Gesundheitsversorgung in Deutschland muss widerstandsfähiger, moderner und menschlicher werden. In Ulm haben wir dafür einen wichtigen Grundstein gelegt.“
Der Hartmannbund – Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V. vertritt als freier Verband die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen aller Ärzt:innen, Zahnärzt:innen und Medizinstudierenden in Deutschland – unabhängig vom Fachgebiet, ob niedergelassen, angestellt oder im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig. Frei und unabhängig, auf Bundes- und Länderebene, in Politik, Selbstverwaltung und der Öffentlichkeit.