125 Jahre Hartmannbund – von der Leipziger Idee zur gesamtdeutschen Stimme der Ärzteschaft. Unter diesem Motto feierte der Hartmannbund am Sonnabend – exakt eineinviertel Jahrhunderte nach seiner Gründung durch Hermann Hartmann am Gründungsort Leipzig sein Jubiläum. Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesundheitswesen würdigten in einem Festakt in der Alten Börse Leipzig die Rolle des Verbandes bei der Vertretung ärztlicher Interessen und warfen dabei auch einen Blick auf die unheilvolle Rolle des Verbandes während der Nazizeit. Grußworte ebenso wie die Festrede durch Prof. Dr. Hendrik Streeck und die Rede des Hartmannbund-Vorsitzenden Dr. Klaus Reinhardt beleuchteten zudem die Bedeutung des Verbandes und der ärztlichen Selbstverwaltung bei der Bewältigung aktueller und künftiger Herausforderungen der Gesundheitspolitik. Roter Faden durch die Feierstunde: Die Bedeutung von Mut, Zusammenhalt, Freiheit und Freiberuflichkeit.
So betonte der sächsische KV-Vorsitzende, Dr. Stefan Windau, in seinem Grußwort mit Blick auf seine Heimatstadt Leipzig den Mut der Menschen 1989, für ihre Freiheit auf die Straße zu gehen, und forderte von ärztlicher Selbstverwaltung und Verbänden, sich notwendigen Veränderungen zu stellen und sich – dort wo nötig – auch „neu zu erfinden und umzugestalten“. In Anspielung auf Hartmanns damaligen Kampf gegen die „Verelendung der Ärzteschaft“ warnte Windau davor, die gesundheitliche Versorgung dürfe nicht „geistig verelenden“. Lob gab es für die „Innovationskraft Sachsens“ im Laufe der Feierstunde von Dr. Klaus Reinhardt. Diese Kraft sei leider nicht überall in der Selbstverwaltung zu finden.
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB), Peter Klotzki, hob die Bedeutung des Arztberufes als freier Beruf hervor und zeichnete das Bild des Schulterschlusses von BFB und Hartmannbund als Eckpfeiler der Freiberuflichkeit. Er forderte ein Ende der „Misstrauensbürokratie“ als Begrenzung von Freiheit. In Zeiten der Bedrohung von außen, innerer Polarisierung und wirtschaftlicher Schwäche komme es darauf an, Konflikte zu moderieren und Gemeinschaften zu bilden. „Wir brauchen Mut, müssen uns selbst kümmern und dürfen nicht wegdelegieren“.
Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes und zugleich amtierender Präsident der Bundesärztekammer, erinnerte in Anlehnung an den Klotzki-Appell zur Bildung von Gemeinschaften an den Gründungsgedanken von Hermann Hartmann, die Ärzteschaft solle sich zusammenfinden, Kartelle bilden und damit die Not überwinden. Das Bekenntnis zur Freiberuflichkeit und die Überzeugung, dass es über alle ärztlichen Berufsgruppen hinweg ein gemeinsames Grundverständnis brauche, bezeichnete er als „DNA des Hartmannbundes“. Man dürfe sich nicht in Einzelinteressen verzetteln, sondern müsse das Ganze im Blick haben. Gewürdigt hat Reinhardt ebenso die Rolle des Hartmannbundes während der deutschen Einheit. Innerhalb kürzester Zeit gründeten sich Landesverbände in den neuen Ländern, um die Kolleginnen und Kollegen vor Ort berufspolitisch zu unterstützen.
Kritisch äußerte sich der Hartmannbund-Vorsitzende zur bisherigen Aufarbeitung der Rolle des Verbandes während der Nazi-Zeit. Bei bisherigen Rückblicken auf die HB-Geschichte sei diese unzureichend betrachtet worden. „Das muss sich ändern“, sagte Reinhardt und verwies auf eine Untersuchung, die der Hartmannbund in Auftrag gegeben habe.
Auf diese ging im Anschluss der mit der entsprechenden Recherche beauftragte Geschichtswissenschaftler Prof. Dr. Heiner Fangerau ein. „Der Hartmannbund war kein Opfer der NS-Zeit“, machte er klar. Er habe die zu Recht immer wieder beschworene Bedeutung von Kollegialität und Gemeinschaft – vorsichtig gesagt – in dieser Phase seiner Geschichte nicht beherzigt. Der systematische Ausschluss von jüdischen, „nicht arischen“ Mitgliedern müsse ebenso aufgearbeitet werden, wie die medizinischen Verbrechen – z. B. die Ermordung von Menschen in der Psychiatrie oder Zwangssterilisationen – durch Ärztinnen und Ärzten. Aufarbeitung sei ein ständiger Prozess. Gerade die vielen jungen Menschen im Verband stünden für diese Notwendigkeit. Die gelte im Übrigen auch für die Betrachtung der Neugründung des HB nach dem Krieg. So sei der erste Vorsitzende, Theodor Dobler, ein aktiver Nationalsozialist gewesen. Auch sein Nachfolger Friedrich Thieding sei nicht „unbelastet“. Über all dies müsse gesprochen werden, der „Stachel muss im Fleisch bleiben“, sagte Fangerau.
Prof. Dr. Hendrik Streeck, Mitglied des Deutschen Bundestages und Drogenbeauftragter der Bundesregierung, betonte eingangs, nicht als Vertreter der Bundesregierung zu sprechen, sondern in erster Linie als Kollege. Gesundheit sei zur Ware geworden, kritisierte er, es gebe für die Fehler des Gesundheitssystems zwar hinreichend korrekte Diagnosen, aber keine wirksame Therapie. Die Wahrheit sei, dass das System grundsätzlich reformiert werden müsse. „Wir müssen an die Wurzel gehen“. Dazu gehöre auch die Diskussion über verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, darüber, welche Behandlungen wirklich nötig sind und welche vielleicht überflüssig. „Wir müssen weg von der Vollkasko-Mentalität“. Reformen würden alle zu spüren bekommen. Jede Strukturreform werde auch Verlierer haben. Darunter hätten Reformbemühungen bisher immer gelitten. Diesen Druck werde man aber aushalten müssen. Beteiligung an dem dafür notwendigen Dialog dürfe nicht Blockade heißen. Streeck zeigte sich davon überzeugt, dass ein gerechtes und funktionierendes Gesundheitssystem auch eine „Demokratieversicherung“ sei. „Der Bürger muss spüren: Der Staat ist für uns da.“
Hartmannbund-Vorsitzender Dr. Klaus Reinhardt, Prof. Dr. Hendrik Streeck (MdB), Prof. Dr. Heiner Fangerau (Historiker), Alexander Manzke (SMS Sachsen), Dr. Stefan Windau (KV Sachsen) und Peter Klotzki (BFB)
Eine kurze Zusammenfassung der 125-jährigen Geschichte des Hartmannbundes finden Sie hier
Zum Vergrößern auf das Bild klicken! Fotos: Sebastian Willnow/Hartmannbund