Prof. (RCSI) Dr. med. habil. Uwe Torsten: „Wir brauchen mehr Spielräume für die berufliche Entwicklung“

Wenn es um das Krankenhaus der Zukunft geht, dann ist wichtig, auch das Berufsbild der Ärztin bzw. des Arztes zu überdenken und attraktiver zu gestalten. Für Prof. (RCSI) Dr. med. habil. Uwe Torsten, erster stellv. Vorsitzender des Landesverbandes Berlin, könnte hier als Vorbild der Consultant dienen, der unter anderem im Gesundheitssystem in Irland und Großbritannien seinen festen Platz hat.

Herr Prof. Dr. Torsten, wie stellen sich junge Ärzte ihre stationäre Tätigkeit in Zukunft vor? Was ist ihnen wichtig?

Meine Erfahrung aus vielen Gesprächen ist, dass Ärzte in Weiterbildung und Fachärzte in Krankenhäusern eine ganz genaue Vorstellung davon haben, wie ihre berufliche Zukunft mittelfristig aussehen soll. Sie schätzen es, interdisziplinär und in einem großen Team zu arbeiten. Sie wollen stetig dazuzulernen und empfinden die Arbeitsstruktur jedoch als zunehmend weniger attraktiv.

Wie sieht dieser Zwiespalt konkret im Alltag aus?

Ein versierter Facharzt, zum Beispiel, der gern auch interdisziplinär operiert, an komplexen chirurgischen Eingriffen interessiert ist, möchte sich aber nicht mehr dem Wochenplan komplett „unterwerfen“. Er verlässt die Klinik, geht in die Niederlassung und dann? Hier stößt das System an seine Grenzen. Als Belegarzt betreut er nur eigene Patienten, wahrscheinlich mit weniger schwierigen Eingriffen. Als Honorararzt hat er wiederum kaum Mitspracherecht in der Klinik und als Konsiliararzt darf er in erster Linie nur noch diagnostizieren. Egal welchen Weg man einschlägt, der Facharzt bzw. die Fachärztin wird seinen/ihren Beruf nicht nach den eigenen Ansprüchen und Vorstellungen ausüben können. Wir brauchen hier mehr Spielräume für die berufliche Entwicklung.

Wie könnte ein Zukunftsmodell aussehen, um diesen Vorstellungen gerecht zu werden?

Das Modell, macht euren Facharzt und dann stehen euch beide Karrieren in der Niederlassung und dem Krankenhaus offen, existiert schlichtweg nicht. Das ist im deutschen Gesundheitssystem so nicht vorgesehen. Das Krankenhaus organisiert, der Arzt unterschreibt. Teamarztmodelle auch in Schwerpunktkrankenhäusern existieren nicht. Es herrscht wenig Flexibilität.

Schauen wir in andere europäische Länder, wie Irland und Großbritannien, dort wird beispielsweise ein Consultant-System vorgehalten. Das bedeutet, dass spezialisierte Fachärztinnen und Fachärzte, die in der Niederlassung arbeiten, sich ebenso um eine Stelle als Consultant in einem Krankenhaus bewerben dürfen. Consultants sind mehr, sie sind Ober-, Chefärzte und/oder Lehrende. Beide Seiten können sich aussuchen und vertraglich regeln, wie und wann sie miteinander arbeiten wollen. Sie betreuen nicht nur eigene Patienten, haben Mitspracherecht in der Klinik und dürfen diagnostizieren. Sie sind autark verantwortlich für den Therapieprozess und können interdisziplinäre Teams leiten. Außerdem ist es gern gesehen, wenn sie Lehrtätigkeiten wie „bedside teaching“ für Studenten, Weiterbildungsassistenten und junge Ärzte durchführen und an der Versorgungsforschung teilnehmen.

Für diese Flexibilität müsste sich das deutsche Gesundheitssystem ändern….

Das ist richtig. Die grundlegende Herausforderung hierzulande ist, wie kann die personelle Sicherung einer qualitativ hochwertigen und flächendeckenden Gesundheitsversorgung und Sicherung der stationären Versorgung erreicht werden, wenn eine Zunahme der Teilzeitstellen im ärztlichen Bereich einerseits und eine Abnahme der finanziellen Deckung zwischen Kosten- und Leistungsgeschehen andererseits zu verzeichnen ist? Mangel an Fachkräften trifft auf Abkehr von der Vollzeitstelle als Arbeitsmodell. Auf die Kostenbremse drücken und Leistungen herunterfahren ist ein wenig sinnvoller Vorschlag.

Eine schrittweise Aufhebung der Einschränkungen zwischen ambulanter und stationärer Tätigkeit würde bei zunehmendem Fachkräftemangel dazu führen, dass motivationsfördernde Rahmenbedingungen geschaffen und bisher ungenutzte Potentiale gehoben werden. Wir müssen aktiv werden und werden im Landesverband Berlin darüber reden, wie die verkrusteten Strukturen durchlässiger gemacht werden können und konkrete Vorschläge unterbreiten. Im Verständnis der Hartmannbundes wäre diese Flexibilität Ausdruck einer freiberuflichen Berufsausübung, die dem Wohle der Patienten und dem Gesundheitssystem dient.

Link zum Artikel im Hartmannbund-Magazin: https://www.hartmannbund.de/wp-content/uploads/2021/10/3038425_HB-Magazin_3_2021_web.pdf