1. Medizin vor Ökonomie – „Klinik Codex“ und „Arztcodex“ als Wegweiser ärztlichen Handelns: Patienten sind keine Kunden!

Die Delegiertenversammlung des Hartmannbund-Landesverbandes Nordrhein begrüßt den unter Initiierung und Federführung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) entwickelten „Klinik Codex“ und dessen Weiterentwicklung zum „Arztcodex“ als Wegweiser ärztlichen Handelns in Klinik und Praxis. Der Hartmannbund-Landesverband Nordrhein bestärkt alle Ärztinnen und Ärzte darin, sich aktiv und persönlich dem „Klinik Codex“ und zukünftigen „Arztcodex“ anzuschließen. Die entsprechende Urkunde sollte jeder Bewerbung insbesondere um eine ärztliche Leitungsfunktion in abhängiger Beschäftigung beigefügt sein! Alle Ärztinnen und Ärzte müssen sich in ihrem ärztlich und ethisch einwandfreien Verhalten, das gegebenenfalls primär kaufmännisch orientierten Zielsetzungen – insbesondere in den Kliniken – entgegensteht, der aktiven und wirksamen Unterstützung durch die gesamte Ärzteschaft und deren Selbstverwaltungsgremien – insbesondere im Konfliktfalle – sicher sein. Die einzelnen Ärztekammern sind aufgefordert, auf die Einhaltung ihrer jeweiligen ärztlichen Berufsordnung mit der gebotenen Aufmerksamkeit und mit dem erforderlichen Aufwand aktiv hinzuwirken und die darin enthaltenen Regelungen im Interesse aller Ärztinnen und Ärzte und ihrer Patienten durchzusetzen. Dazu gehört, alle Dienstverträge und Zielvereinbarungen der Leitenden Krankenhausärztinnen und -ärzte in Hinblick auf etwaig unzulässige – primär ökonomisch und an betriebswirtschaftlicher Nutzenoptimierung orientierte – Regelungen zu überprüfen und diese ernsthaft und wirkungsvoll zu sanktionieren, wodurch die Leitenden Krankenhausärzte im Übrigen aus dem vielfach unwürdigen Verhandlungsdilemma im Setting zum jeweiligen Krankenhausträger befreit würden. Die betriebswirtschaftlich problematische Situation vieler Krankenhäuser ist im Übrigen klar zu adressieren: Den Kostenträgern und politischen Entscheidern muss klar sein, dass ein unbegrenztes Leistungsversprechen an die Bevölkerung einerseits und eine artifiziell und primär beschäftigungspolitisch begründete Mittelbeschränkung andererseits in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander stehen.

Begründung:

In den letzten ca. 15 Jahren haben die Ökonomisierung in der Medizin und das Gewicht betriebswirtschaftlicher Erwägungen – insbesondere im stationären Sektor – stetig zugenommen und nunmehr ein solches Maß erreicht, dass vielfach das Primat medizinisch-ärztlicher Sachentscheidungen in Frage und in eine unzulässige Opposition zur Zielsetzung einer betriebswirtschaftlichen Nutzenoptimierung gestellt wird. Formaler Ausdruck dieser Entwicklung sind u. a. die Einführung des dem einzelnen Patienten in der Individualität seiner Erkrankung nicht gerechtwerdenden DRG-Systems in den deutschen Krankenhäusern, die Umwandlung bislang öffentlich-rechtlicher oder gemeinnütziger Krankenhäuser in Kliniken in privater Trägerschaft mit marktausschaltender lokaler oder gar regionaler Alleinstellung und unrealistischen – weil aus den DRG-Bewertungen nicht ableitbaren – Renditezielen, die durch den Gesetzgeber ab dem Jahre 2004 herbeigeführte Freigabe des ambulant-vertragsärztlichen Sektors für Investoren ohne fachlichen Bezug und die dadurch seitdem stattgefundene Entstehung einer großen Anzahl von wettbewerblich auftretenden MVZs auch in nicht-ärztlicher Trägerschaft oder die nahezu vollständige Vereinnahmung der Erlöse aus wahlärztlicher Behandlung durch die Krankenhausträger mittels flächendeckender Abschaffung des Liquidationsrechts für Leitende Krankenhausärztinnen und -ärzte, wodurch auch die sogenannten nachgeordneten Ärztinnen und Ärzte an den entsprechenden Erlösen regelwidrig nicht mehr in angemessener Weise beteiligt werden, obwohl sie bei der Erbringung wahlärztlicher Leistungen maßgeblich mitwirken. All‘ diese Veränderungen haben innerhalb der letzten ca. 15 Jahren wichtige Parameter in den deutschen Krankenhäusern wie Unternehmensphilosophie, Führungskultur und vielfach offenbar auch die Prioritätensetzung grundlegend verändert – mit der Folge des Verlusts von Wahlfreiheit für den Patienten und verschlechterter Bedingungen ärztlicher Berufsausübung – insbesondere unter dem Blickwinkel ärztlicher Diagnostik- und Therapiefreiheit.