Die Monate der Covid-19-Pandemie haben erheblichen Nachbesserungsbedarf im Pandemiemanagement und der Krisenreaktionsfähigkeit im Falle pandemischer Lagen aufgezeigt. In Baden-Württemberg sollten rasch die bestehenden Krisenpläne aktualisiert und optimiert werden. Für eine schnelle Interventionsfähigkeit in Krisensituationen müssen feste Krisenstäbe unter Einbezug der Landesärztekammer mit klar definierten Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten vorbereitet werden. Entscheidend sind regelmäßige Übungen in diesen Krisenstäben und Pandemieeinsatzübungen mit allen Beteiligten, insbesondere den Krankenhäusern und dem Katastrophenschutz. Reserven müssen für Schutzmaterialien, relevante Medizinprodukte, wichtige Arzneimittel und Impfstoffe angelegt und aktualisiert werden. Meldestrukturen müssen im Land digital ohne Schnittstellenverluste vernetzt werden. Bundeslandübergreifend müssen sichere und schnelle digitale Vernetzung und funktionierende Kommunikationswege sichergestellt werden. Die Akzeptanz der Bevölkerung wird bei gemeinsam zwischen Sicherheits-, Gesundheitsexperten und politischen Verantwortungsträgern entwickelten Weisungen und Empfehlungen deutlich höher sein.
Eine wesentliche Bedeutung kommt dem öffentlichen Gesundheitsdienst in der Bewältigung von Krisen, vor allem aber in der Prävention von gesundheitlichen Risiken für die Menschen zu. Die Strukturen des ÖGD sollten auf kommunaler und Landesebene sowie im Bund auf den Prüfstand gestellt und ausgebaut werden. Es müssen überregional konsentierte organisatorische Eckpunkte für personelle Ausstattung, Führungsorganisation, Berichtswesen und digitale Vernetzung festgelegt werden. Zu Details verweisen wir auf unseren separaten Beschluss zur Stärkung der Führung und Verantwortung durch ärztliche Kompetenz in der Organisation des ÖGD und Verbesserung der Vernetzung zwischen den ÖGD-Strukturen.
In der Corona-Krise wurden digitale Anwendungen in bislang nicht vorstellbarem Umfang in das Arbeits- und Privatleben integriert. Die Grenzen der Realisierbarkeit wurden an vielen Stellen deutlich und wir erneuern die Forderung, den Ausbau des Glasfasernetzes in Baden-Württemberg zu beschleunigen. Die weitere rasche Entwicklung der telemedizinischen Strukturen im Land darf nicht an der Infrastruktur scheitern. Innerhalb des Gesundheitswesens benötigen wir die zügige Implementierung der Telematik-Infrastruktur und den Auf- und Ausbau der Forschungsdateninfrastruktur. Eine zeitnahe, verbindliche und international anschlussfähige Interoperabilität sowie Standardisierung (z.B. bei der Dokumentation und Befüllung der ePA) ist erforderlich.
Digitale Anwendungen in der Gesundheitsversorgung werden nur dann auf Akzeptanz stoßen, wenn sie ihren Nutzen belegen können, praxistauglich sind und kein Qualitätsrisiko bergen. Digitalisierung muss einen Beitrag zur Entlastung von Ärztinnen und Ärzten von bürokratischen Tätigkeiten (z. B. Vermeidung von Mehrfacherhebung von Daten) leisten. Die eingesparte Zeit kann direkt der Patientenversorgung zugutekommen.
Die rasche Einführung des digitalen international anerkannten Impfpasses ist eine Herausforderung für die Akteure im Gesundheitswesen. Berechtigterweise erwartet die Bevölkerung die aktive Mitwirkung bei einer raschen Umsetzung. Es ist eine wichtige Chance, die Vorteile einer digitalen Gesundheitsinfrastruktur für alle Beteiligten aufzuzeigen. Finanzielle und personelle Belastungen müssen adäquat ausgeglichen werden, ohne Fehlanreize zu schaffen.
Das in der Pandemieversorgung erfolgreiche Zusammenwirken flächendeckender Krankenhausversorgung und ambulanter hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung sollte die Leitschnur für weitere Strukturentwicklung sein. Im Vordergrund muss die Weiterentwicklung medizinisch leistungsstarker Strukturen sein. In der Krankenhausplanung müssen Standorte, Versorgungsschwerpunkte und Personalressourcen sachgerecht definiert werden und die Finanzierung sichergestellt werden. Der demografie- und morbiditätsbedingte Versorgungsbedarf muss kalkuliert werden und Bedarfsänderungen durch medizinischen Fortschritt eingeplant werden. Eine moderne Krankenhausplanung muss zudem mehr kooperative Versorgungskonzepte, wie belegärztliche Versorgung, berücksichtigen. Hier sind wir in Baden-Württemberg auf einem guten Weg. Das Land sollte sich auf Bundesebene für eine Neustrukturierung der Krankenhausinvestitionsfinanzierung und der Krankenhausvergütung einsetzen.
In einer Neuordnung der Krankenhausfinanzierung sollten sich Personalbedarf, Personalentwicklung, Flächendeckung und Vorhalteleistungen abbilden. Arbeitsabläufe in den Krankenhäusern müssen in Einklang mit Arbeitszeitregularien geplant werden und ggf. auch Personalreserven beinhalten. Die Erfordernisse der ärztlichen Weiterbildung müssen berücksichtigt werden. Die Nachwuchssicherung in der medizinischen Versorgung ist nicht (nur) durch langfristig angelegte Programme, wie die Landarztquote für die Studienplätze zu gewährleisten. Wir benötigen attraktive Weiterbildungsangebote mit einer guten Vernetzung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung. Entscheidend ist das Erleben guter Arbeitsrahmenbedingungen in der Weiterbildung; hier liegt ein wesentlicher Faktor für die Entscheidung zum Verbleib in der ärztlichen Tätigkeit am Patienten.
In der ambulanten Versorgung gilt es ebenfalls Strukturen zu schaffen, die einen Einstieg leicht machen. Ziel sollte die selbstständige Tätigkeit entweder vertragsärztlich oder privatärztlich sein. Die Möglichkeiten angestellter Tätigkeit sind bereits vielfältig und bieten ebenfalls eine gute Basis, um in die ambulante Versorgung einzusteigen und diese partiell auch mitzugestalten.
Im ambulanten und stationären Versorgungssystem darf ärztliches Handeln nicht durch Einflüsse von Kapitalgebern oder anderen nicht vorrangig am Patientenwohl oder der Gesundheitssicherung der Bevölkerung orientierten Kräften beeinflusst werden.
Einerseits sollte eine Begrenzung der Beteiligungsmöglichkeiten von Finanzinvestoren in der medizinischen Versorgung erfolgen. Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge mit externen Kapitalgebern müssen durch geeignete Regulierungsschritte politisch und auch in der Berufsordnung unterbunden werden. Zunächst sollte für MVZ – aber danach auch für andere medizinische Einrichtungen – über ein Register mehr Transparenz für Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte über in der medizinischen Versorgung agierende Finanzinvestoren geschaffen werden.
Die Coronakrise hat den Fokus der gesellschaftlichen und politischen Betrachtung auf das Gesundheitsversorgungsystem mit seinen Stärken und Schwächen gerichtet. Wir müssen diese Phase nutzen und Problemfelder aus unserer ärztlichen Sicht herausarbeiten und Problemlösungen vorschlagen. Bei allen Lösungen darf der Grundsatz der freien ärztlichen Berufsausübung nicht eingeschränkt werden.