Blitzumfrage des Hartmannbundes wirft Licht auf Digitalisierungsdefizite an Kliniken

Angesichts der aktuellen Fokussierung auf die politischen Auseinandersetzungen rund um die Krankenhausreform warnt der Hartmannbund – mit Blick auf die Komplexität der Herausforderungen im Bereich der Klinik-Strukturen – davor, andere wichtige Baustellen aus den Augen zu verlieren. So wurde bereits im Oktober 2020 das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) beschlossen und steht unmittelbar vor der geplanten Evaluierung seines Umsetzungsgrades. Ziel des Gesetzes waren Impulse zur dringend notwendigen Digitalisierung deutscher Kliniken. Die entsprechenden Defizite der allermeisten deutschen Krankenhäuser, die damit einhergehenden Probleme in der aktuellen Versorgung sowie die zukünftigen Herausforderungen sind weitgehend bekannt. Aber schon jetzt zeichnet sich ab: Die Krankenhäuser sind aus vielen Gründen weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben und die im Gesetz geforderten Maßnahmen können aktuell nicht umgesetzt werden. Das legt auch eine Blitz-Umfrage des Hartmannbundes nahe, die kürzlich unter Klinikärztinnen- und Ärzten durchgeführt wurde.

So schildert eine Mehrzahl der über 300 Teilnehmer:innen Schwierigkeiten bei der Implementierung der Digitalisierungsvorgaben. 56 Prozent sagen, dass es bereits bei der Beschaffung und Vergabe von notwendigen Komponenten zu Verzögerungen gekommen sei. 58 Prozent schildern hausinternen Personalmangel und mehr als ein Viertel der Befragten berichtet von Lieferschwierigkeiten bzw. ausgelasteten Kapazitäten der Industrie.

Dr. Dr. Galina Fischer

Dr. Moritz Völker

„Auch wenn der Wille da ist und selbst wenn das Geld vorhanden wäre, sind die Umsetzungskapazitäten begrenzt. Die Förderbescheide benötigen Zeit, die entsprechenden Unternehmen sind ausgelastet und die Kliniken müssen auf die Umsetzung warten“, sagt Dr. Moritz Völker, Vorsitzender der Jungen Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund. Auch Dr. Dr. Galina Fischer, Vorsitzende des Arbeitskreises Stationäre Versorgung im Hartmannbund, warnt vor den mit der aktuellen Situation einhergehenden Problemen: „In solchen Situationen, in denen man nehmen muss, was man bekommen kann, droht der unbedingt notwendige Fokus auf Usability und Mehrwert verloren zu gehen, nur um die Anforderungen fristgerecht irgendwie zu erfüllen – das kann ein Hemmschuh für die Zukunft sein, weil am Ende undurchdacht digitalisiert wird und die Prozesse kompliziert und insuffizient bleiben könnten.“

 

Und das sind diese schon jetzt. So berichten in der Umfrage des Hartmannbundes über 80 Prozent der Teilnehmer:innen davon, dass die aktuell genutzte Software im Krankenhaus die Erwartungen nicht erfüllt. Gleichzeitig geben 50 Prozent der Befragten an, nicht einmal über ausreichend PCs an den Arbeitsplätzen zu verfügen und mehr als 60 Prozent der Befragten empfinden, das aktuelle Krankenhausinformations-system (KIS) als nicht benutzerfreundlich. Dabei sind die Ärztinnen und Ärzte durchaus offen für neue Technologien. Rund vier von fünf Ärzt:innen sehen in digitalen Diensten einen unmittelbaren Nutzen für die Patientenversorgung und trotz der bisherigen Erfahrungen sogar mehr als 70 Prozent von ihnen eine entlastende Funktion für die alltäglichen Arbeitsabläufe. All das sind Hinweise auf die bisher unkoordinierte und oftmals dysfunktionale Umsetzung der Digitalisierung in deutschen Krankenhäusern. „Digitalisierung allein ist noch kein Mehrwert. Sie muss akribisch vorbereitet, gründlich durchdacht und am Ende auch gut gemacht sein, um die komplexen Strukturen der Krankenhausversorgung abbilden und vereinfachen zu können“, sagt Völker.

„Das aktuelle Vorgehen inkl. der drohenden Abschläge bei Nichtumsetzung des KHZG könnte spürbare Folgen für die Kliniklandschaft haben, da voraussichtlich nur eine Minderheit der Krankenhäuser die Vorgaben voll erfüllen wird“, sind sich die beiden Arbeitskreisvorsitzenden einig. Fischer: „Selbst, wenn es gelingen sollte, besteht die Gefahr, dass es am Ende wieder Datensilos werden, die der Interoperabilität erneut nur begrenzt zur Verfügung stehen und auch patientenunfreundlich sind.“

Um nur eines der zahlreichen Beispiele zu nennen: Laut Hartmannbund-Umfrage nutzen aktuell nur 13 Prozent der Befragten ein Patientenportal, lediglich weitere 6 Prozent sagen, dieses sei in der Umsetzung. Im KHZG ist ein solches Portal aber eine zwingende Voraussetzung für die Erfüllung der Vorgaben bis 1. Januar 2025. Völker: „Wie die Politik mit dieser Realität umgehen will, sollte dringend geklärt werden, auch um den Kliniken Planungssicherheit zu geben.“

Weiteres Dilemma aus Sicht von Fischer und Völker: Niemand könne bisher realistisch die Auswirkungen der parallel geplanten notwendigen Krankenhausreform auf die Versorgungslandschaft absehen. Voraussichtlich werde ein substanzieller Anteil der Krankenhäuser nicht mehr in der Form an der Versorgung teilnehmen, wie das heute der Fall sei. Auch in diesen Häusern werde aber Geld in Digitalisierung gesteckt und somit begrenzte Ressourcen, die an anderer Stelle dringend benötigt würden, möglicherweise unnötig verbraucht. „Was wir beobachten, sind zwei parallel ablaufende, aber unkoordinierte Vorgänge. Das darf die Politik nicht einfach laufen lassen“, so die beiden Arbeitskreisvorsitzenden abschließend.

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Zum Hintergrund

Das KHZG wurde am 23. Oktober 2020 beschlossen und sieht eine Reihe von Anpassungen der digitalen Infrastruktur der Krankenhäuser vor. Die Maßnahmen müssen bis Anfang 2025 abgeschlossen sein – anderenfalls drohen Abschläge.

Folgende digitalen Dienste müssen zur Nutzung bereitgestellt sein:

  • Patientenportale für ein digitales Aufnahme-, Behandlungs- und Entlassmanagement
  • Systeme zur digitalen Dokumentation von Pflege- und Behandlungsleistungen
  • digitale Entscheidungsunterstützungssysteme
  • Systeme für ein digitales Medikationsmanagement
  • Systeme zur digitalen Anforderung von Leistungen

Ein Abschlag wird erstmals zum 31.12.2025 ermittelt und im jeweiligen Folgejahr budgetwirksam auf die Fälle des jeweiligen Krankenhausstandortes angewendet. In den Jahren 2025 und 2026 wird zunächst nur die Verfügbarkeit der digitalen Dienste berücksichtigt. Darüber hinaus reicht es in beiden Jahren zunächst aus, dass die Umsetzung der digitalen Dienste beauftragt wurde. Ab dem Erhebungszeitpunkt 31.12.2027 wird die Nutzung dann sukzessive stärker berücksichtigt und die Dienste müssen vollständig umgesetzt sein, um Abschläge vermeiden zu können. Um sanktionsfrei zu bleiben – es droht ein Abschlag in Höhe von bis zu 2 Prozent für jeden voll- und teilstationären Fall –, müssen Krankenhäuser zum 31.12.2027 nachweisen, dass Pflichtprojekte zu mindestens 60 % genutzt werden. 2028 liegt die Nutzungsquote bei 70 %, und 2029 bis 2031 müssen mindestens 80 % Nutzung nachgewiesen werden, um Sanktionen zu vermeiden.