Jung: Regelung aus verschiedenen Gründen problematisch

Der Hartmannbund Landesverband Sachsen-Anhalt spricht sich dafür aus, die einrichtungsbezogene Impfpflicht so lange auszusetzen, bis der Deutsche Bundestag über die allgemeine Impfpflicht entschieden hat. Der Vorsitzende, Dipl.-Med. Bruno Jung, teilt dazu mit: „Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, dass die in medizinischen Einrichtungen tätigen Personen zur Corona-Schutzimpfung verpflichtet werden sollen, kann dies unserer Einschätzung nach sinnvollerweise nur im Rahmen einer allgemeinen Impfpflicht geschehen oder gar nicht. Wir fordern daher den Deutschen Bundestag auf, das Inkrafttreten der einrichtungsbezogenen Impfpflicht auszusetzen und zeitnah im Rahmen einer breiten parlamentarischen Debatte über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zu entscheiden.“

Aus Sicht des Sachsen-Anhaltinischen Hartmannbundes ist der Weg einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht aus verschiedenen Gründen problematisch. „Da ist zunächst das Kriterium des Schutzes vulnerabler Patienten und Heimbewohner, das bekanntlich ein wesentliches Argument für die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht war. Diese Argumentation hat jedoch zwei entscheidende Schwachstellen. Zum einen lässt sie einen entscheidenden Akteur außen vor: diejenigen Patienten und Pflegebedürftigen, die sich aus freiem Willen gegen eine Coronaimpfung und damit für ihren mangelhaften Infektionsschutz entschieden haben, und damit eine erhebliche Mitverantwortung für sich und andere tragen. Wenn jetzt einseitig das medizinische Personal zur Impfung verpflichtet wird, erscheint dies nicht nachvollziehbar und erzeugt bei vielen Mitarbeitern in Gesundheitseinrichtungen vor allem Frust und Abwanderungsgedanken. Zum anderen arbeiten ja die ungeimpften Personen in Gesundheitseinrichtungen in den allermeisten Fällen bereits seit zwei Jahren für ihre Patienten, und doch waren während dieser ganzen Zeit geeignete Infektionsschutzmaßnahmen sichergestellt, so dass vulnerable Menschen geschützt wurden. An der Verantwortung medizinischer Einrichtungen, vulnerable Gruppen unter optimalen Schutzmaßnahmen zu behandeln und pflegen, ändert sich also nichts Grundlegendes, wenn die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht wie geplant am 15. März greifen würde.“

Zudem sei die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der derzeitigen Form kaum umzusetzen. „Die Gesundheitsämter haben schlicht nicht genug Personal, um jeden gemeldeten Einzelfall aus den Kliniken, Pflegeheimen oder Arztpraxen zu prüfen, was sie übrigens selbst einräumen. Aber selbst da, wo die Gesundheitsämter Entscheidungen treffen, würde es faktisch darauf hinauslaufen, dass in einigen Fällen Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbote für ungeimpftes medizinisches Personal ausgesprochen werden, in anderen nicht. Wie sollte es auch anders gehen? Schließlich entscheiden die Gesundheitsämter ja je nach Lage vor Ort in Abwägung der Kriterien Versorgungssicherheit und Infektionsschutz“, äußert sich der HNO-Arzt aus Thale weiter. Zudem seien viele arbeitsrechtliche Fragen ungeklärt. Die Folge sei ein bundesweiter Umsetzungs-Flickenteppich, was hinsichtlich der Signalwirkung deutlich gravierender erscheine als eine Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht. „Auch vor diesem Hintergrund ist aus unserer Sicht ein Aufschub zwingend geboten, was im Übrigen auch kein Beleg mangelnder politischer Glaubwürdigkeit wäre. Vielmehr ist es ein Zeichen von Stärke, wenn die Politik Revisionsoffenheit zulässt und angesichts geänderter Umstände Maßnahmen anpasst. Jede Maßnahme muss stets unter dem Aspekt beleuchtet werden, ob sie noch ihren Zweck zur Eindämmung der Pandemie erfüllt und ob sie noch geeignet, erforderlich und angemessen ist und ob der zu erwartende Aufwand und Kollateralschäden noch gerechtfertigt scheinen. Sonst geht jegliche Akzeptanz verloren“, findet Jung.

Daneben gebe es schwerwiegende psychologische Aspekte, die in ihrer auch langfristigen negativen Wirkung auf die Mitarbeiter im Gesundheitswesen nicht zu unterschätzen seien. Neben die bereits erwähnte Problematik, dass es kaum vermittelbar sei, warum das medizinische Personal zur Impfung verpflichtet werde und der Rest der Bevölkerung nicht, trete noch eine zweite. In Jungs Augen werde auch die vorgesehene Meldung ungeimpfter Mitarbeiter durch die Einrichtungsleitungen, beispielsweise Praxisinhaber, das innerbetriebliche Vertrauensverhältnis absehbar und nachhaltig belasten. „Natürlich wird es die ungeimpfte MFA nicht kalt lassen, wenn ihr Chef sie an das Gesundheitsamt meldet. Diese Konfliktsituation ist für beide Seiten nicht im guten Einvernehmen auflösbar und muss negative Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit der ganzen Praxis haben. Bei allem Verständnis für die Entscheidung des Bundestages im Dezember scheint es geboten, die Notwendigkeiten seitens der Pandemie und die Folgen des Gesetzes im Detail bis März neu zu bewerten“, schließt der Landesvorsitzende aus Sachsen-Anhalt.