Keine Aushöhlung der ärztlichen Schweigepflicht

Vor dem Hintergrund der derzeitigen Diskussionen nordrhein-westfälischer Landespolitiker um eine etwaige Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht im Zusammenhang mit einer Verbesserung des Schutzes von Kindern vor sexuellem Missbrauch und körperlichen oder seelischen Misshandlungen hat der Vorsitzende des Landesverbandes Nordrhein des Hartmannbundes – Verband der Ärzte Deutschlands e. V., Dr. med. Stefan Schröter, der zugleich Stellvertretender Bundesvorsitzender des Hartmannbundes und Mitglied des Vorstands der Landesärztekammer Nordrhein sowie Mitglied des Vorstands des Verbandes Freier Berufe im Lande NRW e. V. (VFB NW) ist, auf die große rechtliche, gesellschaftspolitische, kulturelle und auch lebenspraktische Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht hingewiesen.

„Die im Datenschutzrecht, im Bürgerlichen Vertragsrecht, in der Ärztlichen Berufsordnung, im Strafrecht und letztlich im Grundgesetz in Gestalt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie durch diesbezüglich konsistente Rechtsprechung verankerte ärztliche Schweigepflicht ist ein überaus hohes Gut, auf dessen strikte Einhaltung sich jede Patientin und jeder Patient in unserem Land verlassen können muss!“ – so Schröter. Bei konkret erkennbarer Selbst- oder Fremdgefährdung sei ohnehin auch unter der derzeit geltenden Rechtslage nach sorgfältiger Abwägung im Rahmen eines sogenannten „rechtfertigenden Notstandes“ gemäß § 34 StGB die Zurückstellung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber höherwertigen Rechtsgütern erlaubt, und im Falle einer konkret geplanten schwerwiegenden Straftat gemäß § 138 und § 139 StGB bestünde sogar eine Offenbarungspflicht des Arztes.

„Die ärztliche Schweigepflicht steht dem stets vorrangigen Kindeswohl also nicht etwa entgegen, sondern ganz im Gegenteil!“ – so Schröter. Im Falle von sexuellem Missbrauch von Kindern werde man – auch und gerade unter Abwägung widerstreitender Rechtsgüter – die Einschaltung der Behörden ohnehin bejahen müssen. Aufgrund der Garantenpflicht gegenüber dem Kind sei der Arzt bei ausreichend konkretem Verdacht auf Missbrauch eines Kindes sogar verpflichtet, das Jugendamt bzw. die Polizei zu informieren, um einen möglichen künftigen Missbrauch zu verhindern. Eine Veränderung der derzeitigen Rechtslage durch den Gesetzgeber sei insofern weder erforderlich noch geboten. Ärztinnen und Ärzte könnten im Übrigen nicht die Aufgaben der Polizei übernehmen.

Man müsse auch beachten, dass bei einem etwaigen Wegfall der ärztlichen Schweigepflicht betroffene Kinder von deren Eltern oder anderen Sorgeberechtigten nach stattgehabter Misshandlung bzw. Missbrauch möglicherweise gar nicht mehr ärztlich vorgestellt würden – aus Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung. „Dann würden Diagnosen nicht gestellt, und es blieben Verletzungen und Erkrankungen unerkannt und unbehandelt, es könnte dem betroffenen Kind somit in keiner Hinsicht geholfen werden.“ – so Schröter.

Vor voreiligen Schlüssen warnt auch Sebastian Exner, Stellvertretender Vorsitzender des Hartmannbund-Landesverbandes Nordrhein und Mitglied der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein. „Es ist in jedem einzelnen Fall durch die behandelnde Ärztin bzw. den behandelnden Arzt eine verantwortungsvolle Würdigung aller medizinischen, psychologischen, familiären und sozialen Bedingungen vorzunehmen.“ – so Exner. Die Einschaltung der Behörden wie Jugendamt und gegebenenfalls auch der Polizei scheitere jedenfalls nicht an der seit vielen Jahrzehnten bewährten Rechtslage – stellt Exner klar. Vielmehr müssten die Jugendämter und auch die Strafverfolgungsbehörden personell und materiell-technisch deutlich besser ausgestattet werden.