Landarztquote ist kein Zukunftskonzept – Reimann sollte im Bundesrat eine breite und moderne Analyse für effektive Lösungsansätze anstoßen

Angesichts der aktuellen Diskussion um die erforderliche Anzahl an Medizinstudienplätzen mahnen die Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen im Hartmannbund, Prof. Dr. Anke Lesinski-Schiedat, und der Hartmannbund-Univertreter an der Medizinischen Fakultät Oldenburg, Johannes Stalter, zu einer differenzierten Betrachtung: „Zunächst benötigen wir eine Analyse, wie das deutsche Gesundheitswesen die kommenden Herausforderungen meistern kann“, so Lesinski-Schiedat.

Dazu gehöre vor allem die Frage, wie die verschiedenen Professionen effizient für die bestmögliche Versorgung eingesetzt werden können. „Das Ziel muss eine interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen sein, in der jeder Akteur vorrangig in seinen Kernkompetenzen arbeiten kann – denn dafür wurde er ausgebildet.“

Stalter, der auch stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses der Medizinstudierenden im Hartmannbund auf Bundesebene ist, verweist vor allem auf die rasante Entwicklung im Bereich eHealth: „Nicht nur die älter werdende Bevölkerung, sondern vor allem die wachsenden Herausforderungen im Umgang mit BigData und KI – all das sind nur die Spitzen eines Eisbergs, den wir sehen, aber nicht wirklich analysieren.“

Lesinski-Schiedat hält die jetzige „Hochrechnung“ eines Ärztemangels vor allem auch deshalb für schwierig, weil die derzeitigen ärztlichen Verantwortlichkeiten mit nichtärztlichen Tätigkeiten überfrachtet seien: „Daran werden mehr Medizinstudierende und auch mehr Ärztinnen und Ärzte nichts ändern“, ist sich die niedersächsische Landesvorsitzende des Hartmannbundes, die auch Mitglied des Bundesvorstandes ist, sicher.

Die vor wenigen Tagen vom Gesundheitsministerium vorgelegte „Evaluation der Maßnahmen zur Sicherung der ärztlichen Versorgung auf dem Land in Niedersachsen“ fokussiert auf die frühzeitige, verpflichtende Festlegung auf die Tätigkeit als Landarzt. Lesinski-Schiedat und Stalter formulieren gegenüber der darin erhobenen neuerlichen Forderung nach einer Landarztquote ihre klare Ablehnung: „Wir können Abiturienten nicht ernsthaft bis zu ihrem vierzigsten Lebensjahr an eine wirtschaftlich und kulturell abgehängte Region binden wollen“, kritisiert Lesinski-Schiedat. Diverse Erhebungen belegten, dass die Entscheidung für eine fachliche Spezialisierung in der Regel erst gegen Ende des Medizinstudiums und teilweise auch erst während der Weiterbildung getroffen werde.

„Hinzu kommt, dass die Gründung einer Familie in das Lebensalter von 20 bis 40 Jahren – also exakt in das Zeitfenster der Verpflichtung – fällt, die durch die persönliche Bindung stark beeinflusst würde“, ergänzt Stalter. Dies fördere weder die Freiheit der Berufsausübung, noch die Freiheit der persönlichen Entfaltung, noch die Lebens- und Berufszufriedenheit der von der Landarztquote begünstigten Bewerber. „All dies kann sich negativ auf die Qualität der Versorgung und mithin die Patientenzufriedenheit auswirken. Letzteres kann jedoch nicht das Ziel der Landesregierung sein, denn es würde die betroffenen Regionen noch unattraktiver machen“, sind sich beide einig.

Beide betonen, dass die Versorgungsforschung breiter aufgestellt werden müsse, um entsprechende prospektive Ergebnisse zu liefern. An die niedersächsische Gesundheitsministerin Carola Reimann gewandt schlagen sie vor, eine entsprechende Initiative im Bundesrat anzuschieben und einen Runden Tisch unter Beteiligung des Bundesgesundheitsministeriums, der Bundesärztekammer, der Spitzenverbände der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung sowie Repräsentanten der Versorgungsforschung einzurichten. Denn auch die aktuelle Evaluation zeige, dass ein Mehr an Studienplätzen nicht genügen kann, die Probleme der Zukunft zu lösen.

Zugleich fehlen Analysen, alternative Ansätze und damit hochrechenbare Daten zur Sicherstellung der Versorgung für das Jahr 2030, die zudem nicht nur die hausärztliche Versorgung im Blick haben dürften. Welche Auswirkungen sind zum Beispiel durch den Einsatz von eHealth oder die Integration medizinischer Assistenzberufe zu erwarten? Der Hartmannbund, der bundesweit organisiert ist, stehe als Moderator jederzeit gern zur Verfügung.