Prof. Giovanni Maio spricht Ärztinnen und Ärzten aus der Seele   

Bereits am vergangenen Samstag luden die Mitteldeutschen Hartmannbund Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zur gemeinsamen Landesdelegiertenversammlung nach Gera. Thema war die Frage, was Ärztinnen und Ärzte eigentlich wollen, was ihre Wünsche und Erwartungen bezüglich Ihres Berufs seien und was eigentlich die ethischen Grundsätze des Arztberufes ausmacht.

Die Resonanz war groß, und die Referenten, unter ihnen der Freiburger Universitätsprofessor für Bioethik Giovanni Maio sprachen vor vollen Rängen. Zunächst war es am Vorsitzenden des Thüringer Hartmannbundes und Gastgeber der Veranstaltung, Dr. Jörg Müller, die wesentlichen Entwicklungen seit Beginn seiner ärztlichen Tätigkeit vor 25 Jahren aufzuzeigen, Stichworte GOÄ, EBM-Reform, TSVG, dysfunktionale Telematikinfrastruktur, DRG und die Gestaltungsmöglichkeiten Kassenärztlicher Vereinigungen und Ärztekammern. Letztere könnten aufgrund ihres Status als Körperschaften öffentlichen Rechts ihrem als Monstranz vorangetragenen Vertretungsanspruch für die Ärzte nicht gerecht werden, fungierten vielmehr als Transmissionsriemen des politischen Willens in die Ärzteschaft und würden dort inzwischen eher als repressive Exekutivorgane wahrgenommen. Jede Reform habe die ärztliche Handlungsfähigkeit auch durch gehorsame Erfüllung durch die Körperschaften ein Stück unfreier gemacht und eine am Patienten- und auch Arztwohl orientierte Medizin zunehmend erschwert.

Immerhin seien die Aussichten gut, dass Ärzte angesichts der immer größer werdenden Versorgungsmängel auf dem Land aber auch zunehmend in Städten wieder mehr Einfluss auf die Bedingungen ärztlichen Handelns nehmen können. Der Geraer Augenarzt wies explizit auf den unablässigen Einsatz des Hartmannbundes für die Freiheit der Ärzte und die Freiberuflichkeit hin. Damit verbunden, verwies er auf die Worte des bisherigen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn, dass niemand gezwungen sei, als Vertragsarzt zu arbeiten und interpretierte diese Aussage so, dass Ärzte frei seien, ob sie die Abhängigkeiten von Körperschaften des öffentlichen Rechtes suchen sollten oder nicht.

Der erste Beisitzer des Thüringer Hartmannbundes, Dr. Rolf-Christian Hänse ergänzte in seinem Grußwort, dass ärztliche Körperschaften wie Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen im Kern durch die allen Verwaltungen innewohnende Neigung zu Wachstum aus sich selbst heraus gekennzeichnet seien. Der Weimarer Praktische Arzt und Allergologe betonte die Bedeutung freier Verbände wie dem Hartmannbund, die darin liege, Mißstände in der Gesundheitspolitik offen anzusprechen. Dazu seien ärztliche Körperschaften nicht in der Lage.

Anschließend skizzierte der Jenaer Arzt in Weiterbildung Dr. Florian Götting, wie eine den Bedürfnissen von Patienten und Ärzten gleichermaßen gerecht werdende medizinische Versorgung der Zukunft aussehen könnte. Dabei betonte er etwa die Rolle einer sinnvollen digitalen Medizin oder auch die größere Einbeziehung des Patientenwillens in Diagnostik und Therapie und veranschaulichte mögliche Ansätze neuer Vergütungskonzepte.

Die in Gera wohnende Humanmedizin-Studentin Maxi Baierl rundete die Perspektive des Ärztenachwuchses ab und schilderte Probleme in Vorklinik, Klinik und PJ, um anschließend nach vorne gerichtet Lösungsansätze aufzuzeigen.

Zu guter Letzt rief Prof. Dr. Giovanni Maio in einem kämpferischen Vortrag dazu auf, die ärztliche Identität zu verteidigen. Er kritisierte, dass die Bedürfnisse der kranken Menschen in den gegenwärtigen Strukturen der Gesundheitsversorgung keine wesentliche Rolle spielten. Sie würden primär als Kunden gesehen und weniger als ganzheitliche Menschen mit Bedürfnissen. Sowohl in der ambulanten als auch stationären Versorgung gehe es zentral um Kosten und Effizienz sowie darum, „Patienten so schnell wie möglich durch das System zu schleusen“. Es gehe um messbare Größen und Outcomes, was sich auch am synonym für Ärzte verwendeten Begriff Leistungserbringer zeige. Das, was ärztliches Handeln eigentlich ausmache, könne jedoch durch keine wie auch immer gearteten Messgrößen widergespiegelt werden. Der Kern ärztlicher Arbeit liege in der Indikationsstellung, einem Reflektionsschritt, der darin bestehe, die Diagnose mit anderen „Wissensmomenten“ über den Patienten zusammenzubringen. Zentral hierfür seien Erfahrung, Behutsamkeit, Weitsicht und die Bereitschaft, dem Patienten immer wieder aufs Neue zuzuhören. Es gehe darum, Befunde und Diagnosen in das Soziale, das Gesamtbild eines Menschen einzuordnen. Und auch darum, Patienten Ängste zu nehmen. Dem gegenüber stünde die heute in der Politik populäre Sichtweise von Medizinern als „Ingenieuren am Menschen“. Ärztinnen und Ärzte sollten quasi reflektionsfrei, durch striktes Befolgen starrer Behandlungsschablonen bzw. Leitlinien aus kranken Menschen gesunde Menschen machen. Diese Sichtweise verkenne das Wesen ärztlichen Tuns und werte es ab. Auch die Tatsache, dass die Vergütung ärztlicher Leistungen oftmals unzureichend sei, resultiere letztlich aus dieser systemimmanenten Geringschätzung und Fehldeutung der eigentlichen ärztlichen Arbeit. So würden Medizinerinnen und Mediziner nach Kriterien bezahlt, die gar nicht abbilden, was sie eigentlich leisten. Entsprechend würden etwa aktionistisches Handeln und bestimmte Outcomes vergütet, selbst wenn diese medizinisch gar nicht notwendig seien. Hier sei ein Umdenken gefordert, damit Ärztinnen und Ärzte wieder für ihre eigentlich ärztliche Tätigkeit vergütet werden können.

Mediziner gingen einer anspruchsvollen, im höchsten Maße sinnstiftenden Tätigkeit nach: Menschen zu helfen, die sich nicht selbst helfen könnten. Sie können stolz darauf sein, was sie leisten – und ärztliche Verbände wie der Hartmannbund sollten weiter für Ärztinnen und Ärzte eintreten und dies auch nach außen tragen.

Dieser Vortrag traf den Nerv der anwesenden Ärzteschaft und hat, mit den Worten des Gastgebers Dr. Jörg Müller, „den Medizinern aus der Seele gesprochen“.