Wenn trotz fehlendem medizinischem Sachverstand Gesetze entstehen

Das Zustandekommen und auch der Inhalt des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) inklusive des kurzfristig eingebrachten fachfremden Änderungsantrags sorgen weiter für Diskussionen in der Ärzteschaft. Die Vorsitzenden der Hartmannbund Landesverbände Brandenburg, Sachsen und Thüringen, Dres Hanjo Pohle, Thomas Lipp und Jörg Müller, beziehen Stellung zu den jüngsten Äußerungen aus der Politik.

„Wenn es stimmt, wie gestern aus Regierungskreisen zu vernehmen war, dass Notaufnahmen auch künftig Patienten zur Weiterversorgung an Arztpraxen weiterleiten dürfen, stellt sich nur eine Frage. Wieso wurde dann der Auftrag an den GBA zur Erarbeitung der Notaufnahmen-Ersteinschätzungsrichtlinie dann anderweitig modifiziert? Also ganz konkret: warum wurde aus besagtem Auftrag der Satz kassiert, dass der GBA Vorgaben zur Weiterleitung der Patienten an Ärzte der vertragsärztlichen Versorgung erarbeiten soll? Das lässt doch nur den Schluss zu, dass dies zukünftig eben nicht mehr möglich sein soll“, äußert sich Hanjo Pohle.

Die Folgen lägen auf der Hand, so Pohle. Wenn es zukünftig nicht mehr möglich sein soll, Patienten ohne akuten Behandlungsbedarf in die Praxen der Vertragsärzte zu schicken, weil sich am Krankenhaus eine Notfallpraxis der KV befindet, könne im ungünstigsten Fall der dem Patienten bekannte Hausarzt, welcher sich in der Nachbarstraße des Krankenhauses befindet, nicht mehr berücksichtigt werden. Und dies, obwohl der Patient dem Arzt bezüglich Anamnese und sozialen Hintergrund vertraut sei. Statt dieser einfachen und logischen Verweisung müsste nun der Patient zwangsweise in die Bereitschaftsdienstpraxis am Krankenhaus. „Wenn ein für den Arzt unbekannter Patient unter den Kriterien eines für ihn dringlichen Gesundheitsproblems auf einen ihn unbekannten Arzt trifft, handelt es sich um die medizinisch ungünstigste Konstellation der Behandlung. Doch diese wird nun per Verordnung gewählt“, ergänzt Thomas Lipp.

Ganz abgesehen von den Fakten, die hier geschaffen würden, sei aber auch das Signal niederschmetternd: Vertragsärzte seien in der Akutversorgung in ihren eigenen Praxen nicht gewünscht, oder zumindest nur sehr eingeschränkt. „Die traditionellen Versorgungsstrukturen werden offenbar bewusst übergangen, die Vorhaltung von Bereitschaftspraxen im 24-Stunden-Betrieb sollen es nun richten. Doch es ist absehbar, dass diese Lösung zu Mehrbelastung in der Klinik führen wird, anstatt wie erhofft personelle Ressourcen in Krankenhaus und Ambulanz zu schonen. Von Effizienz und Effektivität in der Gesundheitsversorgung keine Spur“, fügt Jörg Müller hinzu.

Im Begründungstext des fünften Änderungsantrags befinde sich darüber hinaus noch ein weiterer Satz, der geradezu ein Einfallstor weiterer Fehlallokationen von Patienten sei. Demnach sollen ambulante Leistungen einer Klinik weiter vergütet werden, auch wenn kein sofortiger Behandlungsbedarf festgestellt wurde – vorausgesetzt, das Haus verfüge über keine angeschlossene Notdienstpraxis. „Dies konterkariert jede medizinisch sinnvolle Organisation von Notfällen. Und das mit Ansage. Darüber hinaus läuft das Vorgehen aus meiner Sicht der Grundkonzeption des SGB V zuwider. Und ich bin mit dieser Auffassung offenbar nicht allein, in ähnlicher Weise hat sich ja gestern auch der GBA-Vorsitzende Josef Hecken geäußert“, macht Hanjo Pohle deutlich.

Schließlich finden die drei Hartmannbund-Landesvorsitzenden noch deutliche Worte in Richtung der politisch Verantwortlichen. „Von der Nacht- und Nebelaktion, in welcher der fachfremde fünfte Änderungsantrag im parlamentarischen Verfahren durchgeschleust wurde, einmal abgesehen: diese neue Regelung steht exemplarisch für die verbreitete Unkenntnis medizinisch sinnvoller Abläufe zum Wohle des Patienten. Wieder einmal gilt: gut gemeint ist häufig das Gegenteil von richtig. Statt die wahren Ursachen der Fehlsteuerung der Patienten anzugehen – zu nennen wären die im internationalen Vergleich schlechte Gesundheitskompetenz hierzulande, die oftmals willkürliche Inanspruchnahme bestehender medizinischer Strukturen wie Vertragsarztpraxen sowie die ungenügende Finanzierung von Akut und Notfallpatienten – kommt es wieder einmal zu fragwürdigen Gesetzesänderungen. Am Ende stehen Verwirrung und Frustration bei allen Akteuren und die Gefahr einer schlechteren Versorgung unserer Patienten. Das hält kein System lange durch“, erklären Pohle, Lipp und Müller abschließend.