Sofern Tarifverträge vorsehen, dass auch Teilzeitbeschäftigte erst bei Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit (Vollzeit) Überstundenzuschläge erhalten, verstoßen diese gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten, wenn die Ungleichbehandlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Regelmäßig liege zugleich eine gegen Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verstoßende mittelbare Benachteiligung wegen des (weiblichen) Geschlechts vor, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind, urteilte das Bundesarbeitsgericht.
Der Beklagte war ein ambulanter Dialyseanbieter mit mehr als 5.000 Arbeitnehmern. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der zwischen dem Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Danach wurde ein 30 %-iger Zuschlag bei Überstunden gezahlt, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags war eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vorgesehen. Das zuständige Arbeitsgericht hatte die Klage einer Teilzeitbeschäftigten auf Zahlung nicht erteilter Überstundenzuschläge und Zeitgutschriften nach Überschreitung der individuell vereinbarten Arbeitszeit abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht wiederum hatte der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift zuerkannt und hinsichtlich der begehrten Entschädigung die Klageabweisung bestätigt. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 hatte der Senat das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Dies tat der EuGH mit Urteil vom 29. Juli 2024 (C-184/22 und C-185/22 – wir berichteten).
Die Revision der Klägerin hatte teilweise Erfolg. Der Senat hat der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift – in Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht – zugesprochen und ihr darüber hinaus eine Entschädigung in Höhe von 250 Euro wegen Geschlechtsbenachteiligung zuerkannt. Auf der Grundlage der Vorgaben des EuGH ging der Senat davon aus, dass die genannte tarifliche Regelung insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten unwirksam ist, als er bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsehe. Einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung konnte der Senat nicht erkennen. Durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung habe die Klägerin auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren. In der Gruppe der beim Beklagten in Teilzeit Beschäftigten, die dem persönlichen Anwendungsbereich des Tarifvertrags unterfallen, sind zu mehr als 90 % Frauen vertreten.
Fazit: Aufgrund der Bindungswirkung von EUGH-Urteilen ist die genannte Entscheidung des BAG keine Überraschung. Überraschend ist jedoch die schnelle Reaktion noch im selben Jahr. Das zitierte Urteil ist für angestellte Ärztinnen und Ärzte insofern relevant, als dass immer noch arztbezogene Tarifverträge existieren, die entsprechend nichtige Regelungen enthalten. Es ist davon auszugehen, dass diese nun schnellstmöglich angepasst werden, da es neben der Überstundenvergütung von Teilzeitkräften auch -wie im vorliegenden Fall- um Schadenersatzansprüche aufgrund unmittelbarer oder mittelbarer Diskriminierung gehen kann.
BAG, Urteil vom 05.12.2024 (Az.: 8 AZR 370/20)