BGH: Selbstbestimmte Patientenentscheidung erfordert Gespräch

Die ärztliche Aufklärung muss mündlich stattfinden und darf nur ergänzend auf schriftliche Unterlagen verweisen. Der für eine selbstbestimmte Entscheidung der Patienten zu vermittelnde Inhalt -insbesondere zu schwerwiegenden und seltenen Risiken- muss stets mündlich mitgeteilt werden. Schriftliche Unterlagen können nur als Stütze dienen.

Im streitgegenständlichen Fall wurde ein Arzt wegen fehlerhafter Aufklärung über die OP-Risiken einer arthroskopischen Untersuchung und Behandlung verklagt. Es lag ein Aufklärungsbogen zur arthroskopischen Untersuchung und Behandlung/Operation eines Sprunggelenks vor, den Patient und Arzt unterschrieben hatten. Durch die OP wurde eine Nervenschädigung verursacht. Der Patient machte geltend, er sei nicht über die Behandlungsalternativen sowie das Risiko der Arthroskopie, insbesondere nicht über das Risiko der Nervenschädigung, aufgeklärt worden. Er sei infolge der Operation zu 60 Prozent schwerbehindert und dauerhaft erwerbsunfähig. Er verlangt vom Arzt materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen Aufklärungspflichtverletzung. Der beklagte Arzt erhob u.a. den Einwand einer hypothetischen Einwilligung. Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht unterlag der Patient. In Karlsruhe hatte er mit seiner Revision hingegen Erfolg.

Eine wirksame Patienteneinwilligung, so der BGH, setze eine ordnungsgemäße Aufklärung voraus, bei der die in Betracht kommenden Risiken nicht exakt medizinisch beschrieben werden müssten. Es genüge, den Patienten “im Großen und Ganzen” über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung vom Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln. Dies müsse zwingend mündlich erfolgen. Nur zur Wiederholung des Gesagten, zur bildlichen Darstellung oder zur Verbesserung bzw. Vertiefung des Verständnisses dürfe auf schriftliche Unterlagen Bezug genommen werden. Diese müssten jedoch für das grundsätzliche Verständnis der Risiken entbehrlich sein. So hätte das Risiko einer Nervenschädigung und ihre Auswirkungen im Aufklärungsgespräch ausdrücklich benannt werden müssen. Auf eine hypothetische Einwilligung könne sich der Arzt im konkreten Fall nicht berufen, da das OLG die hypothetische Einwilligung lediglich unter dem Aspekt der Aufklärung über die Erfolgsaussichten einer ambulanten Arthroskopie geprüft habe, nicht aber in Bezug auf die Aufklärung über das Risiko von Nervenschäden. Der BGH verwies die Sache zurück ans OLG, das nun unter Berücksichtigung der BGH-Vorgaben erneut zu entscheiden hat.

Fazit: Immer wieder sind die Gerichte in Arzthaftungsprozessen mit Fragen zur ärztlichen Aufklärung befasst. So entschied der BGH im Jahr 2021, dass Informationsblätter oder Aufklärungsformulare bedenkenlos seitens der behandelnden Ärzte verwendet werden können. Er betonte jedoch zugleich, dass derartige Unterlagen ergänzend zur und nicht anstelle der persönlichen Aufklärung zum Einsatz kommen dürfen (wir berichteten, Az.: III ZR 63/20). Im aktuellen Urteil konkretisieren die Karlsruher Richter diese Linie und geben damit weiterführende Hinweise für die ärztliche Praxis. Ärzte sollten neben der allgemeinen Aufklärung über Chancen und Risiken auf die individuelle Belange der Patienten eingehen und sich davon überzeugen, dass diese sämtliche Hinweise und Informationen verstanden haben. Patienten müssen in einem persönlichen Gespräch die Möglichkeit bekommen, auch Rückfragen stellen können, so dass die Aufklärung nicht auf einen lediglich formalen Merkposten innerhalb eines Aufklärungsbogens reduziert wird. Nur dann können Ärzte Verständnisprobleme, Fehlvorstellungen, aber auch Ängste erkennen und auf diese unmittelbar und individuell reagieren.

BGH, Urteil vom 05.11.2024 (Az.: VI ZR 188/23)