Die 250 Delegierten des 128. Deutschen Ärztetages (DÄT) beschäftigten sich vier Tage lang nicht nur mit wichtigen berufspolitischen Fragestellungen, sondern (notwendigerweise) ein bisschen auch mit sich selbst. Vor dem Hintergrund der Delegierten-Kritik an steigenden Beiträgen der Landesärztekammern zur Finanzierung der Aufgaben der Bundesärztekammer wurde zum Teil kontrovers über „Kernaufgaben“ der Kammerwelt diskutiert, kritischen Parlamentariern – mit Hinweis auf kostenintensive Beschlüsse aus den eigenen Reihen – aber auch der Spiegel vorgehalten.
Der DÄT braucht eine Effizienz-Debatte
Auch die Frage, wie das Ärzteparlament künftig berufspolitisch effektiver arbeiten könne, wurde mit Blick auf Satzung und Geschäftsordnung (GO) des DÄT lebhaft diskutiert. Wie kann die Flut von (teilweise) redundanten Anträgen sinnvoll reduziert werden, ohne die notwendige Themenvielfalt einzuschränken, erforderliche „Spontaneität“ zu gefährden oder gar (basis-)demokratische Prinzipien in Frage zu stellen?! Die zahlreichen Anträge auf Vorstandsüberweisung oder Nicht-Befassung dokumentierten nicht nur den Handlungsbedarf, sondern kosteten auch beträchtliche (knappe) Zeit.
Wie brachte es ein Delegierter so schön auf den Punkt: Wir reden auf diesem DÄT viel über Patientensteuerung zur Effizienzsteigerung in der Versorgung. In diesem Sinne müssen wir dringend auch über die Steuerung unserer eigenen Prozesse in diesem Parlament sprechen. Dass dies ein mühsames Unterfangen wird, dokumentierte eindrucksvoll ein an breiter Mehrheit gescheiterter Vorstandsantrag zur GO. Er sollte für künftige DÄT eine neue Frist zur Einreichung von Anträgen setzen …
Prof. Josef Hecken und Dr. Klaus Reinhardt
(Fotos BÄK/Christian Glawe-Griebel/helliwood.com)
Versorgung braucht Leitplanken
Sein Anliegen zum zentralen gesundheitspolitischen Thema des Ärztetages in Mainz hatte der Präsident der Bundesärztekammer und Hartmannbund-Vorsitzende, Dr. Klaus Reinhardt, an den Anfang der Debatte des Ärztetages gestellt: Das Gesundheitssystem muss seine Ressourcen effektiv(er) nutzen, Redundanzen können wir uns nicht mehr leisten. Es braucht Leitplanken in der Versorgung, die Effizienz garantieren und gleichzeitig die Autonomie der Patientinnen und Patienten nicht in Frage stellen. Die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen muss sinnvoll weiterentwickelt und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gestärkt werden – auch mit Blick auf die Fähigkeit, die vorhandenen Angebote des Versorgungssystems verantwortungsvoll zu nutzen. Mit großer Mehrheit stimmten die Delegierten nach interessanten Vorträgen von Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Gesundheit), Prof. Dr. Wolfgang Greiner (Uni Bielefeld) sowie Prof. Josef Hecken (Unparteiischer Vorsitzender G-BA, LINK zum Vortrag) und einer engagierten Debatte für den Leitantrag des BÄK-Vorstandes „Koordinieren und Kooperieren in der ambulanten Versorgung – für ein bedarfsgerechtes und sektorenverbindendes Gesundheitssystem“, der u. a. den Zugang zur ambulanten Versorgung über die Hausärztinnen und Hausärzte vorsieht. „Dieser erste Anlaufpunkt übernimmt für alle gesundheitlichen Anliegen die primärärztliche Versorgung sowie die Koordination einer notwendigen Weiterbehandlung bei Fachärztinnen und Fachärzten in allen Gebieten und in weiteren Versorgungsbereichen“, heißt es im Beschluss.
Ziel der Gesundheitsversorgung müsse es sein, „die vorhandenen Ressourcen so effektiv, aufeinander abgestimmt und effizient einzusetzen, dass sie dem tatsächlichen Behandlungsbedarf gerecht werde. Leistungen, die in der primärärztlichen Versorgung erbracht werden, müssten zudem sowohl im hausärztlichen wie auch konsekutiv auf Überweisung im fachärztlichen Bereich entbudgetiert werden“. Erforderlich sei außerdem eine enge Vernetzung von Hausärztinnen und Hausärzten sowie Fachärztinnen und Fachärzten mit Einrichtungen der ambulanten ärztlichen Versorgung, mit Krankenhäusern und Pflegediensten.
Bereits zu Beginn des Ärztetages hatte das Plenum auf „menschenverachtende Reden, Taten und Pläne“ reagiert: Mit einer Resolution wollen sie sich für Demokratie, Pluralismus und Menschenrechte starkmachen. Das Zusammenwirken von Ärztinnen und Ärzten unterschiedlicher Nationen und Kulturen bereichere die ärztliche Arbeit und unterstütze die „wissenschaftliche Exzellenz und medizinischen Fortschritt“. Diese Resolution finden Sie HIER!
Bundesregierung und Gesetzgeber wurden außerdem in einem einstimmig gefassten Beschluss aufgefordert, wichtige Reformen für ein gleichermaßen menschliches wie leistungsstarkes Gesundheitswesen jetzt umzusetzen. Motivierte Mitarbeiter seien der Schlüssel: Die Gesundheitspolitik müsse ihr Augenmerk auf Nachwuchsförderung, Qualifizierung und gute Arbeitsbedingungen ausrichten.
Bemerkenswert: Nachdem vor kurzem noch die Streichung der Homöopathie als „Kassenleistung“ aus dem Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers rausgeflogen war, fordert der Deutsche Ärztetag in einem entsprechenden Antrag den Gesetzgeber dazu auf, Maßnahmen dahingehend zu ergreifen, dass Homöopathie weder als Kassenleistung zur Abrechnung kommen kann noch als Entität mit Sonderstatus in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) Erwähnung findet. Die Entscheidung fiel nach längerer Debatte knapp aus, mit 116 Ja- zu 97 Nein-Stimmen (Beschluss).
Hartmannbund-Treffen auf dem Deutschen Ärztetag
Die komplette Online-Dokumentation der beschiedenen Anträge finden Sie auf der Webseite der Bundesärztekammer.
Hier unsere Übersicht über die Anträge aus den Reihen der Hartmannbund-Delegierten, welche in den Hartmannbund-Gremien abgestimmt wurden:
Angenommene Anträge
Zeitnahe Weiterentwicklung des Referentenentwurfs zur Krankenhausreform
Ärztliches Personalbemessungssystem der Bundesärztekammer verbindlich gesetzlich verankern
Abschaffung der Budgetierung der fachärztlichen Vergütung im niedergelassenen Bereich
Die neue Approbationsordnung muss jetzt beschlossen werden!
Anerkennung von Weiterbildung in Teilzeit
Suchtmedizin in die Lehre integrieren
Der Umgang mit Menschen mit Behinderung sollte Teil des Medizinstudiums sein
Etablierung von New Work in Kliniken
Diskriminierungsfreie Elternzeit für Ärzte und Ärztinnen ermöglichen
Vorstandsüberweisung
Weiterbildungsevaluation nach Beispiel der norddeutschen Kammern bundesweit durchführen
Aufklärung über Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht vergüten
Weitere Anträge von Delegierten aus dem Hartmannbund:
Angenommene Anträge
Vorstandsüberweisung
Dr. Lujain Alqodmani und Dr. Jesse M. Ehrenfeld
(Fotos BÄK/Christian Glawe-Griebel/helliwood.com)
Neben Dr. Lujain Alqodmani, Präsidentin des Weltärztebundes, richtete auch der US-amerikanische Ärztepräsident Dr. Jesse M. Ehrenfeld ein Grußwort an die Abgeordneten zu Beginn des Ärztetages. Mediziner stünden weltweit unter Druck. Jeder Fünfte habe in den USA insbesondere zu Pandemie-Zeiten mit dem Gedanken gespielt, den Beruf aufzugeben. Er zeigte sich zudem „inspiriert, bewegt und beschämt“ von der einstimmigen Verabschiedung der Resolution für Demokratie, Pluralismus und Menschenrechte. Als homosexueller, jüdischer Arzt und Vater von zwei Kindern könne er nur „Danke“ sagen für dieses Statement.
Nächster Ärztetag in Leipzig
Kommendes Jahr treffen sich die Abgeordneten vom 27. bis 30. Mai 2025 in Leipzig. Am letzten Tag des Mainzer DÄT zeichnete sich ab, dass in Leipzig das Thema „Schwangerschaftsabbruch“ einen Schwerpunkt bilden wird. Die Delegierten waren sich nach einer sachlichen, aber auch emotionalen Debatte zum Thema Schwangerschaftsabbruch einig, dass Beschlüsse der Ärzteschaft zu diesem Thema mit entsprechend fundierter Vorbereitung und in einem angemessen Zeitrahmen auf dem 129. Deutschen Ärztetag gefasst werden sollten. Das Programm finden Sie jetzt schon HIER!
Fest steht mit Hannover nun auch der Austragungsort des 130. Deutschen Ärztetages, dieser findet im Mai 2026 statt.