BAG: Belehrungspflicht des Arbeitgebers in Fällen krankheitsbedingter AU

Gesetzlicher Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat und dann aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, erlischt nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen, urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG). Dies folge aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub unterliege zwar der gesetzlichen Verjährung, diese beginne jedoch erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmende den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Danach verfällt weiterhin der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. In dieser Fallkonstellation setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage zu versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.

Fazit: Der Neunte Senat des BAG hat damit die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufgrund der Vorabentscheidung vom 22. September 2022 umgesetzt, um die das BAG in diesem Fall ersucht hatte. Nach der Rechtsprechung des EuGH tritt der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen. Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmenden nachhole. Nach bisheriger BAG-Rechtsprechung gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche in vergleichbaren Fällen bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres innerhalb der 15-Monatsfrist unter. Diese Rechtsprechung hat der Senat in Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nun modifiziert.

BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022, Az. 9 AZR 266/20