Der BGH (Bundesgerichtshof) hat entschieden, dass die Werbung mit der Aussage „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App“ auf der Internetseite einer privaten Krankenversicherung gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) verstoße. Bei der einschlägigen Regelung (§ 9 HWG) handele es sich um eine – dem Gesundheitsschutz dienende – Marktverhaltensregelung, so dass die Beklagte zur Unterlassung der Werbung für einen „digitalen Arztbesuch“ mittels einer App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten verpflichtet sei. Die Beklagte habe für die Erkennung und Behandlung von Krankheiten geworben, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruhen. Eine eigene Wahrnehmung im Sinne dieser Vorschrift setzte jedoch voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch – etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Ultraschall – untersuchen kann. Das erfordere die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und sei im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich. Nach dem HWG in seiner neuen Fassung sei das geregelte Verbot zwar nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien wie z.B. Apps erfolgen. Das gelte jedoch nur, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich sei. Wenn jedoch -wie im zugrunde liegenden Fall- für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung im Wege der Fernbehandlung geworben werde, sei nicht klar, dass eine solche umfassende Fernbehandlung den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspreche. Denn mit diesen fachlichen Standards seien nicht die Regelungen des geltenden Berufsrechts gemeint, so dass es unerheblich sei, dass die beworbenen Fernbehandlungen den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt sind. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards sei vielmehr unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in § 630a Abs. 2 BGB, der die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regelt, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Hier seien u.a. Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zugrunde zu legen.
Fazit: Eine pauschale Werbung für Fernbehandlungen losgelöst von konkreten Krankheiten und/oder Behandlungen ist damit nach deutschem Recht nach wie vor unzulässig. Interessant an dieser Entscheidung ist, dass im Laufe des Berufungsverfahrens § 9 HWG durch einen Satz 2 ergänzt worden war, der für das geregelte Werbeverbot für Fernbehandlungen Ausnahmen zulässt, sofern nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.
BGH, Urteil vom 9.12.2021 (Az.: I ZR 146/20)