BSG: Internetveröffentlichung keine amtliche Publikation

Im Rahmen des Rechtsstreits zwischen einer Gemeinschaftspraxis und der für sie zuständigen KV in Vergütungsfragen äußerte sich das Bundessozialgericht (BSG) unter anderem auch zu den formellen Voraussetzungen der Veröffentlichung von EBM-Änderungen. Die Veröffentlichung eines Beschlusses auf der Internetseite des Instituts des Bewertungsausschusses sei keine amtliche Publikation. Die im Beschluss beschriebene EBM-Änderung werde damit noch nicht wirksam. Erst mit der Veröffentlichung im Dt. Ärzteblatt sei dies der Fall, weil § 87 Abs 6 Satz 9 (jetzt: Satz 10) SGB V bestimme, dass Beschlüsse des Bewertungsausschusses im Dt. Ärzteblatt oder im Internet bekannt zu machen sind. Falls die Bekanntmachung im Internet erfolgt, müsse im Dt. Ärzteblatt ein Hinweis auf die Fundstelle veröffentlicht werden. Diese Vorschrift sei so zu verstehen, dass erst mit der Veröffentlichung des vollen Textes oder zumindest des Hinweises im Dt. Ärzteblatt der Beschluss des Bewertungsausschusses als bekannt gemacht gelte und damit wirksam werde. Der Gesetzgeber habe gerade nicht bestimmt, dass die Veröffentlichung auf der Internetseite des Bewertungsausschusses für sich schon als Bekanntgabe gilt.

Im zugrunde liegenden Fall wendete sich eine Gemeinschaftspraxis gegen die sachlich-rechnerische Berichtigung für das Quartal 1/2014 im Hinblick auf die Budgetierung von Gesprächsleistungen im EBM-Ä. Streitig zwischen den Beteiligten war dabei insbesondere, ob die entsprechende Änderung des EBM-Ä noch im Jahr 2013 wirksam bekannt gegeben wurde oder eine – ggf unzulässige – echte Rückwirkung entfalte. Der von der KBV und dem GKV-Spitzenverband gebildete Bewertungsausschuss führte für die hausärztliche Versorgung mit Beschluss Mitte 2013 zum 1.10.2013 eine neue, mit 90 Punkten bewertete GOP (03230:  problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist) in den EBM-Ä ein. Zugleich regelte er, dass für diese GOP „ein Punktzahlvolumen für die gemäß der Gebührenordnungsposition 03230 erbrachten und berechneten Gespräche gebildet“ werde. Das Punktzahlvolumen betrage 45 Punkte multipliziert mit der Anzahl der Behandlungsfälle. Dieses wird also bei der Abrechnung der Gesprächsgebühr in jedem zweiten Behandlungsfall (durchschnittlich 0,5 problemorientierte aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderliche Gespräche pro Behandlungsfall) erreicht. Mit weiterem Beschluss vom 18.12.2013 ergänzte der Bewertungsausschuss diese Bestimmung um den Satz, dass über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche gemäß der GOP 03230 nicht vergütet würden. Dieser weitere Beschluss wurde am 20.12.2013 auf der Internetseite des Instituts des Bewertungsausschusses (www.institut-ba.de), aber erst am 24.1.2014 im Dt. Ärzteblatt veröffentlicht.

Fazit: KV, Bewertungsausschuss und auch die Vorinstanzen waren im konkreten Fall von einer echten Rückwirkung der Veröffentlichung auf der Internetseite des Bewertungsausschusses überzeugt. Hierzu gab ihnen die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und BSG Anlass, die in der Vergangenheit echte Rückwirkungen von Normen in engen Grenzen durchaus zugelassen hatte (wir berichteten); insbesondere wenn die Betroffenen mit einer Änderung rechnen mussten, weil die Rechtslage unvollständig und/oder verworren war und sich daher ausnahmsweise kein Vertrauen auf den unveränderten Bestand der Rechtslage bilden konnte. Hierauf beriefen sich die Beklagten, da der Beschluss des Bewertungsausschusses unvollständig und nicht bestimmt war, was mit Gesprächsleistungen geschehen sollte, die über das Volumen hinaus abgerechnet werden. Klar sei nach ihrer Auffassung jedoch immer gewesen, dass eine Abrechnung zum vollen Punktwert ausgeschlossen war, weil das mit dem Sinn eines Punktzahlvolumens für eine Einzelleistung unvereinbar ist. Dieser Auffassung erteilte das BSG nun eine deutliche Absage, so dass künftig das Argument der (Noch-)Nichtveröffentlichung im Dt. Ärzteblatt wohl nur noch zu überwinden sein wird, wenn tatsächlich ausschließlich eine reine Klarstellung eines missverständlichen Normtextes erfolgt.

BSG, Urteil vom 26.05.2021 (Az.: B 6 KA 8/20 R)