Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Fall einer Praxisvertretung geurteilt, dass die Tätigkeit als Vertreter:innen von Inhaber:innen von Arztpraxen ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründe. Die ärztliche Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis weise Gemeinsamkeiten mit derjenigen von Honorarärzt:innen im Krankenhaus auf. So agierten Ärzt:innen bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien in der Regel zwar frei und eigenverantwortlich. Aus der fachlichen Unabhängigkeit, die grundsätzlich allen freien Berufen eigentümlich ist, könne aber nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Insbesondere bei Spezialist:innen („Diensten höherer Art“) könne das Weisungsrecht aufs Stärkste eingeschränkt sein. Dennoch könne die Dienstleistung in solchen Fällen fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird. Die Weisungsgebundenheit von Arbeitnehmer:innen verfeinere sich in solchen Fällen „zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“. Dies zeige sich etwa bei der Einordnung von Chefärzt:innen, die nach ganz herrschender Meinung ebenfalls als Arbeitnehmer:innen zu qualifizieren sind. Der Eingliederung in einen fremden Arztbetrieb könne nur entgegenstehen, wenn Arztvertreter für die Dauer ihrer Tätigkeit die Stelle der Praxisinhaber einnehmen und zeitweilig selbst deren Arbeitgeberfunktionen erfüllen. Im streitgegenständlichen Fall handelte sich um jeweils kurzfristig abgesprochene Praxisvertretungen innerhalb von zwei Jahren an einzelnen Tagen wegen Urlaubs oder Krankheit. Dass die Praxisvertreterin keine Verpflichtung zur Übernahme einer bestimmten Anzahl von Vertretungen hatte, sondern vielmehr über jede Anfrage frei und eigenständig entscheiden konnte, ändere nach der Auffassung der Kasseler Richter:innen nichts. Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung § 7 Abs 1 SGB IV sei neben der Tätigkeit nach Weisungen die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Eine abhängige Beschäftigung setze voraus, dass der Arbeitnehmer:innen von ihren Arbeitgebern persönlich abhängig sind. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sind und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht unterliegen. Demgegenüber sei eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig sei, richte sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen.
Fazit: Das BSG knüpft damit an seine Rechtsprechung aus dem Jahre 2019 an, mit der Honorarärzt:innen im Krankenhaus als abhängige Beschäftigte eingestuft wurden (BSG, Urteil vom 04.06.2019,B 12 R 11/18 R). Letztlich verliert die „Gesamtwürdigung“ der Umstände des Einzelfalls an Kraft, wenn auch das BSG letztlich nur darauf abstellt, ob die Vertreter:innen weisungsgebunden und -da die Weisungsgebundenheit in freien Berufen ohnehin sehr eingeschränkt ist- in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres ist dies sowohl im Krankenhaus als auch im Arztbetrieb regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass sich betroffene Ärzt:innen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe (z.B. Räumlichkeiten, Betriebsmittel, Personal) einfügen.
Interessant ist der in den Urteilsgründen ebenfalls erwähnte Aspekt, dass bei Vertragsgestaltungen, in denen die Übernahme einzelner Dienste individuell vereinbart wird und eben kein Dauerschuldverhältnis mit Leistungen auf Abruf vorliegt, für die Frage der Versicherungspflicht laut BSG allein auf die Verhältnisse abzustellen sei, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestehen. Die Argumentation, die ärztliche Einsätze seien nicht dauerhaft oder nicht regelmäßig, wurde damit ebenfalls geschwächt.
Das BSG betonte auch, dass es für die Statusfeststellung nicht darauf ankomme, ob den berufszulassungsrechtlichen Anforderungen Genüge getan werde. Die Abgrenzungsmaßstäbe des § 7 Abs 1 SGB IV würden nicht berufsrechtlich überlagert. Dies ist insofern interessant, als dass derzeit in der Diskussion ist, ob Ärzt:innen des ambulanten Bereitschaftsdienstes ebenfalls als abhängig Beschäftigte eingestuft werden müssten. Hiergegen hat sich auf Insistieren der ärztlichen Körperschaften jüngst der Bundesrat ausgesprochen.
BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021, Az. B 12 R1/21