BSG stärkt Gemeinschaftspraxen

Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens einer chirurgischen Gemeinschaftspraxis befasst. Die Gemeinschaftspraxis bzw. Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) bestand aus zwei Praxispartnern. Der zuständige Zulassungsausschuss lehnte im konkreten Fall die Nachbesetzung ab, da der betreffende Vertragsarztsitz in der Vergangenheit nicht hinreichend versorgungsrelevant gewesen sei. Der ausgeschiedene Gemeinschaftspraxispartner war Facharzt für Chirurgie und erreichte aufgrund von Krankheit in den fünf maßgeblichen Vorquartalen im Durchschnitt nur eine Fallzahl von 69 Patienten, was weniger als 10 % des Fachgruppendurchschnitts bedeutet. Die BAG selbst hatte allerdings eine durchschnittliche Fallzahl von 2159 Patienten, was durchschnittlich der Leistungserbringung einer durch drei Ärzte der Fachgruppe mit vollem Versorgungsauftrag entsprechen würde. Die zuständigen Ausschüsse und vorinstanzlichen Gerichte waren der Auffassung, dass es für die Beurteilung des nachbesetzungsfähigen Praxissubstrats nicht auf die BAG als Ganzes ankomme, sondern auf den konkreten Tätigkeitsumfang des nachzubesetzenden Vertragsarztsitzes. Sinn und Zweck des Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 3 a SGB V würden bei abweichender Handhabe konterkariert.

Dieser Auffassung trat das BSG mit seiner Entscheidung entgegen. Nicht die über die lebenslange Arztnummer abgerechneten Leistungen, sondern das Gesamtleistungsgeschehen in der BAG sei für die Beurteilung der Nachbesetzung entscheidend.

Die Prüfung der „Entbehrlichkeit“ des Sitzes sei auch an der Struktur der BAG auszurichten. Dabei sei von Bedeutung, ob die Praxis in ihrer gewachsenen Ausrichtung überhaupt ohne die Nachbesetzung geführt werden könne. Dies könne sowohl das qualitative Angebot der Praxis (z. B besondere Fachkunde), aber auch Konstellationen betreffen, bei denen die Fortführung der Praxis im bisherigen Umfang auf eine ganz bestimmte Zusammensetzung ausgerichtet sei. Im konkreten Fall sei die Auslastung der Praxis an ihrem Standort ein Indiz dafür, dass sie einen relevanten Stellenwert in der Versorgung habe. Die Urteilbegründung der Kasseler Richter mündet letztlich auch in Ausführungen zur Berufsausübungsfreiheit gemäß Artikel 12 Grundgesetz, unter die auch die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in einer BAG falle. Die berechtigten Belange der verbleibenden Mitglieder einer BAG seien insofern zu berücksichtigen.

Insbesondere im Vergleich zu den eher unproblematischen Nachbesetzungsverfahren in bestehenden MVZ-Strukturen kann die Entscheidung des BSG als Stärkung der Rechte anderer ärztlicher Berufsausübungsgemeinschaften verstanden werden.

BSG,
Urteil vom 27.06.2018
Az.: B 6 KA 46/17 R