Laut Bundessozialgericht (BSG) sind Ärztinnen und Ärzte bei einem Verdacht auf eine Berufskrankheit auch dann zu einer Anzeige verpflichtet, wenn betroffene Patientinnen und Patienten der Übermittlung an die Unfallversicherung widersprechen. Geklagt hatte die Witwe eines an einer Berufskrankheit verstorbenen Architekten auf die Gewährung von Verletztenrente, Verletztengeld und Pflegegeld aus übergegangenem Recht. Das BSG wies die Klage ab, weil die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erst nach dem Tod des Versicherten vom Verdacht des Vorliegens einer Berufskrankheit erfahren hätten. Auch beim Deutschen Mesotheliomregister sei kein Verwaltungsverfahren anhängig gewesen. Es bestünde eine Anzeigepflicht der behandelnden Ärztinnen und Ärzte gemäß § 202 SGB VII, die auch dann greife, wenn der betroffene Versicherte einer Übermittlung an die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ausdrücklich widerspricht. Diese gesetzliche Offenbarungspflicht erfasse alle approbierten Ärztinnen und Ärzte ausnahmslos, verdränge insofern ihre berufsrechtlich verankerten ärztlichen Schweigepflichten, und ginge grundsätzlich auch dem entgegenstehenden Willen des Patienten vor. Zudem würden in diesen und vergleichbaren Fällen die Allgemeinwohlinteressen den Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung der Versicherten verfassungsrechtlich rechtfertigen. Der betroffene Architekt habe selbst die rechtlich entscheidende Ursache für die Verletzung der Anzeigepflicht der Berufskrankheit und den sozialrechtlichen Nachteil für seine Rechtsnachfolgerin gesetzt, indem er die von verschiedenen Ärzten angebotene Erstattung einer Anzeige seines Hodenkrebses als Berufskrankheit mehrfach abgelehnt beziehungsweise jeden Asbestkontakt verneint und seine anzeigebereiten Ärzte zur Unterlassung der Meldung veranlasst hatte.
Fazit: Das Urteil macht sehr deutlich, wie zwingend im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung der Anzeigepflicht beim Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle von Seiten der behandelnden Ärztinnen und Ärzte nachgekommen werden muss. Patienten, die auf eine Unterlassung drängen oder dieser ausdrücklich widersprechen, sollten hierauf und auf die möglicherweise schwerwiegenden Folgen einer Unterlassung hingewiesen werden. Wir empfehlen, eine derartige Kommunikation entsprechend gründlich zu dokumentieren. Ein Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen des Mesotheliomregisters ist für die Meldepflicht der Behandler nicht ausreichend. Hätten die Ärztinnen und Ärzte des Mesotheliomregisters ihre Pflicht nachweislich verletzt, so müssten sich die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sich diesen Fehler wiederum zurechnen lassen.
BSG, Urteil vom 23. Juni 2020 (Az.: B 2 U 5/19 R)