Deutscher Ärztetag 2024 eröffnet: Krasser Gegensatz zum politischen Handeln

Die Anzahl der Demonstranten vor den Toren der Mainzer Rheingoldhalle war zwar am Ende überschaubar, ihre Botschaft an den Gesundheitsminister vor der Eröffnung des 128. Deutschen Ärztetages dafür aber umso deutlicher: Wir brauchen endlich Gesetze, die wirklich helfen. So geht es nicht weiter. Trillerpfeifen draußen, drinnen zunächst eher konzertante Töne. Denn – eingeleitet von Klängen des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz – waren sich alle Redner mindestens in einer Frage einig: Die Demokratie muss jeden Tag aufs Neue geschützt werden, es bedarf der gemeinsamen klaren Distanzierung von Rechtsextremismus, Ausgrenzung und Intoleranz. Hass und Hetze bedrohen zentrale Werte unserer Gesellschaft.

In der Sache setzte man sich anschließend im Tonfall moderat, in den Positionen aber deshalb nicht minder klar auseinander. Mit seiner Forderung nach einem Gesundheitsgipfel im Kanzleramt machte BÄK-Präsident und Hartmannbund-Vorsitzender Dr. Klaus Reinhardt nicht nur die Dimension der anstehenden Herausforderungen des Gesundheitssystems deutlich („Man kann nicht über Zeitenwende reden, aber nicht die Zeichen der Zeit erkennen“), sondern sendete auch ein unmissverständliches Signal an den Gesundheitsminister: Er braucht Hilfe.

Kein sozialistisches Verteilungsdenken!

Reinhardt appellierte an Minister Lauterbach, endlich „Erfahrungswissen in Lösungskompetenz umzusetzen“, indem er diejenigen an seinen Planungen beteilige, die den Sachverstand aus der praktischen Erfahrung mitbringen. Er warnte mit Blick auf Vorschläge zu einer Weiterbildungs-Quote vor dem Einstieg in „sozialistisches Verteilungsdenken“ und machte deutlich, dass sich die Ärzteschaft allen Plänen entschlossen entgegenstellen werde, die wegführten von einer freien Berufswahl und einer individuellen medizinischen Versorgung. Reinhardt plädierte erneut für einen massiven Bürokratie-Abbau („Wir brauchen Raum für ärztliche Arbeit“), brandmarkte die ausbleibende GOÄ-Reform als Staatsversagen, machte deutlich, dass er intelligente Patientensteuerung für unverzichtbar hält und unterstrich seine Kritik an der Teil-Legalisierung von Cannabis („Für viele Jugendliche wird die Jugend in Rauch aufgehen“)*.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach startete mit einer Selbstanalyse seiner Arbeitsweise: Er wolle Probleme klar benennen und Lösungen finden („In der Vergangenheit war vieles zu abstrakt, eigenes Handeln inklusive“). Rhetorisch nicht ungeschickt vermittelte der Minister in seiner Problemanalyse anschließend zeitweise das Gefühl, als trete er auf dem 128. Deutschen Ärztetag als Verbündeter der versammelten Ärzteschaft auf: Zu viel Bürokratie und ökonomischer Druck im Krankenhaus, mit der Selbstausbeutung von Ärztinnen und Ärzten muss Schluss sein, die ePA muss störungsfrei funktionieren und sich quasi von alleine füllen, es braucht mehr Entscheidungsfreiheit für Hausärztinnen und Hausärzte, rein gewinnorientierte investorenbetriebene MVZ müssen verhindert werden. Er betonte seine guten Kontakte zur Selbstverwaltung und zu Verbänden („Wir sprechen über die Dinge“) – mündend im Resümee, man sei „zum Gelingen verurteilt“.

Die vollständige Rede des BÄK-Präsidenten finden Sie HIER zum Nachlesen.

Krasser Gegensatz zum politischen Handeln

Was wohl bereits während der Eröffnungsfeier den meisten Delegierten durch den Kopf ging, machte sich dann gleich zu Beginn der einleitenden Debatte des anschließenden eröffneten Ärztetages Luft. Klarer Tenor: Das, was der Minister dort vorgetragen habe, stehe im krassen Gegensatz zu seinem täglichen politischen Handeln – sowohl mit Blick auf die Inhalte der meisten seiner Gesetzesvorhaben als auch auf seine Bereitschaft, wirklich mit den Playern des Systems zu reden, bevor er handele. Wie hatte der Minister mit Blick auf den Streit um die Krankenhausreform so schön gesagt? Ihm werde „kein Zacken aus der Krone fallen“, noch einmal mit den Ländern über alles zu reden. Das, so machten bereits die ersten Stunden des Ärztetages deutlich, wünschen sich auch die Vertreter der Ärzteschaft mit Blick auf die anstehenden Reformen.

Noch bis zum Freitag diskutieren die 250 Delegierten über die aktuellen Herausforderungen der Gesundheitspolitik. Im Mittelpunkt wird das Thema Patientensteuerung stehen.

Mit der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der deutschen Ärzteschaft für verdiente Mediziner, wurde dieses Jahr Dr. Astrid Bühren ausgezeichnet. Dr. Bühren, die sich ebenfalls im Hartmannbund engagiert, hat sich Zeit ihres Lebens für die Gleichberechtigung von Ärztinnen und Ärzten im deutschen Gesundheitswesen vehement eingesetzt. Mit Umfragen und Statistiken brachte sie die Benachteiligung von Frauen in der Medizin vielfach erst ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Prof. Dr. Dr. René Gottschalk, der sich für die Erneuerung des öffentlichen Gesundheitswesens intensiv bemüht, und auch Prof. Dr. Dr. Hans Lippert, der als Vorsitzender der Überwachungskommission der BÄK maßgeblich daran beteiligt war, den Transplantationsskandal im Jahr 2012 aufzuarbeiten und Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um ähnliche Vorgänge künftig zu verhindern, erhielten ebenfalls die Paracelsus-Medaille aus den Händen von Dr. Klaus Reinhardt.

Unter dem Motto „Versorgung bedroht – Patienten in Not“ wurde vor der Eröffnung des Deutschen Ärztetags ein mediales Zeichen gesetzt, um auf die aktuelle Misere hinzuweisen. Dafür hatten sich Verbände, so auch der Hartmannbund, zusammengetan. Für alle Ärztinnen und Ärzte – egal ob in der Klinik oder in der Niederlassung, ob selbständig oder ob angestellt – bleibe die Lage angespannt und verschärfe sich angesichts der gesundheitspolitischen Weichenstellungen zunehmend.