Das Bundesverfassungsgericht hat die in der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte vorgesehene Frist von drei Monaten, innerhalb derer nach Erteilung der Zulassung die vertragsärztliche Tätigkeit aufgenommen werden muss, für verfassungswidrig erklärt. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) darf eine Zulassung aus diesem Grunde nicht wieder zurücknehmen. Die entsprechende Vorschrift verstoße gegen die Berufsfreiheit und ist nichtig, entschieden die Richter. Das geht aus einem jetzt veröffentlichten Beschluss hervor.
Geklagt hatten die Betreiber eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) im Raum Tübingen, denen der Zulassungsausschuss Baden-Württemberg zum 1. Oktober 2008 die Zulassung für die Fachgebiete Nervenheilkunde, fachärztliche innere Medizin und Kinderheilkunde erteilte. Zugleich erhielt das MVZ die Genehmigung zur Anstellung von entsprechenden Ärzten. Laut Zulassungsbescheid sollte die Tätigkeit innerhalb von drei Monaten aufgenommen werden, das MVZ zeigte die Aufnahme der vertragsärztlichen Arbeit innerhalb dieser Frist auch an. Jedoch wurde die vertragsärztliche Tätigkeit nicht im vorgesehen Gebäude – einem Neubau – aufgenommen, denn es befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Fertigstellung. Stattdessen praktizierten die Ärzte in alten Praxisräumen auf demselben Grundstück.
Nach einem Kontrollbesuch entzog der Zulassungsausschuss Ende April 2010 dem MVZ die Zulassung und die Genehmigung zur Anstellung der Ärzte. Er begründete seine Entscheidung mit Verweis auf die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, wonach die Tätigkeit am Vertragsarztsitz innerhalb von drei Monaten nach Zugang der Zulassung aufgenommen werden muss. Dagegen klagte das MVZ bis zum Bundessozialgericht (BSG). Es argumentierte, dass die Arbeit aufgenommen wurde, wenn auch zunächst am falschen Ort. Noch vor dem Bescheid des Zulassungsausschusses im April 2010 habe die Arbeit im Neubau aufgenommen werden können. Ein darauf gegründeter Zulassungsentzug sei unverhältnismäßig. Dies stelle einen unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit dar.
Das BSG jedoch bestätigte die Entscheidung des Zulassungsausschusses. Zuzuglich zur in Frage stehenden Dreimonatsfrist verwies es auf das SGB V, das für den Fall der Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit die Entziehung der Zulassung vorsehe. Das MVZ habe zudem seine Pflichten „gröblich verletzt, indem es über einen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren Leistungen unter der Betriebsstättennummer einer Einrichtung abgerechnet habe, die tatsächlich nicht existiert habe“, so das BSG. Das MVZ habe den Zulassungsausschuss getäuscht, da es die tatsächliche Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit an der zugelassenen Betriebsstätte verschleiert hat.
Mit der dagegen eingelegten Verfassungsbeschwerde konnte das MVZ seine Zulassung allerdings auch nicht retten. Zwar erklärte das Bundesverfassungsgericht die maßgebliche Vorschrift über die Dreimonatsfrist in der Zulassungsverordnung für verfassungswidrig und somit nichtig, weil in das garantierte Grundrecht der Berufsfreiheit nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden dürfe. Für die Entziehung der Zulassung aus diesem Grunde hätte es einer gesetzlichen Regelung bedurft. Die Vorschrift in der Zulassungsverordnung genüge dafür nicht, da eine Verordnung nur die gesetzlichen Bestimmungen konkretisieren und laut Gesetz „das Nähere“ bestimmen dürfe. Jedoch sei der Zulassungsentzug aus dem Grunde gerechtfertigt, dass das MVZ seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt habe und das Vertrauensverhältnis zur KV damit nachhaltig gestört sei. Derartige Pflichtverletzungen begründen einen Entzug der Zulassung, der Arzt erscheint in dem Sinne als „ungeeignet“. Es sei nicht zu beanstanden, dass das BSG die unzureichende Kooperation des MVZ mit der KV als gröbliche Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten wertete. (stp)
Az.: 1 BvR 1326/15