Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Vorabentscheidungsverfahren ein Urteil zur Erfassung der Arbeitszeit gefasst, das sich schon heute auf das deutsche Arbeitsrecht und damit auf betriebliche Praxis der Arbeitszeiterfassung in Deutschland auswirken wird.
Im zugrundeliegenden Fall ging um spanisches Arbeitszeitrecht, das – genau wie nach deutscher Rechtslage – ausdrücklich nur die Pflicht des Arbeitgebers vorsieht, Überstunden, nicht aber die gesamte Arbeitszeit von Mitarbeitern zu erfassen. Dies genüge laut der Ausführungen des EuGH nicht, um die Vorschriften der EG-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und insbesondere Art. 31 der EU-Grundrechte-Charta zu genügen. Die Arbeitszeitrichtlinie stelle eine Konkretisierung des darin verankerten Grundrechts auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen dar; dabei seien die darin verankerten Anforderungen als Minimum zu verstehen, den die EU-Mitgliedsstaaten im Rahmen ihres nationalen Gesetzgebungsspielraums zu den Arbeitszeitvorschriften nicht unterschreiten dürften.
Im Hinblick auf die Unterscheidung von vereinbarter (Grund-)Arbeitszeit und zusätzlichen Überstunden sei ein System, das nicht auch die gesamte Arbeitszeit messe, keinesfalls geeignet, objektive und verlässliche Aussagen darüber zu treffen, inwieweit überhaupt Überstunden geleistet worden sind. Die Nachweismöglichkeiten der Arbeitnehmer im Rahmen der Durchsetzung ihrer Rechte seien schwach, wenn statt auf objektive und verlässliche Aufzeichnungsdaten auf andere Nachweise wie Zeugen, E-Mails und dergleichen zurückgegriffen werden müsse. In der Abwägung seien wirtschaftliche Interessen der Arbeitgeber im Hinblick auf die Erfassung gegenüber den genannten Arbeitnehmer-Grundrechten als nachrangig zu bewerten.
Fazit: Das Pendant zum streitgegenständlichen spanischen Recht bildet in Deutschland der § 16 Absatz 2 Arbeitszeitgesetz, nach dem der Arbeitgeber nur dazu verpflichtet ist, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Eine Vergleichbarkeit mit dem spanischen Recht ist somit unmittelbar gegeben, so dass aufgrund der Bindungswirkung des EuGH-Urteils bereits jetzt von einer weiten Auslegung des Arbeitszeitgesetzes durch die zuständigen Aufsichtsbehörden und Arbeitsgerichte ausgegangen werden kann, welche auch die verpflichtende Erfassung der vereinbarten Arbeitszeit einschließt. Somit ist für die Zukunft zunächst einmal klar, dass auch in Deutschland eine Erfassung der gesamten Arbeitszeit -nicht nur der Überstunden- zu erfolgen hat. Unklar, aber keineswegs unwichtig ist hingegen, unter welchen Umständen dies zu geschehen hat. Ob es sich im Sinne einer objektiven und verlässlichen Aufzeichnung um elektronische Zeiterfassungssysteme handeln muss und ob die Erfassung überhaupt noch an den Arbeitnehmer selbst delegiert werden darf. Zudem bleibt bisher offen, wie stark sich in diesem Zusammenhang die Kontrollmöglichkeiten eines Arbeitgebers auf die Freiheit des Arbeitnehmers auswirken. Diese Auswirkungen in der betrieblichen Praxis sind derzeit noch von der konkreten Auslegung des Urteils abhängig. Auch wenn es für die Umsetzung möglicherweise keines weiteren gesetzgeberischen Aktes auf nationaler Ebene bedarf, hat bereits der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, nachdem er das Urteil als freudige Botschaft für überstundengeplagte Arbeitnehmer und wichtigen sozialen Schutz gewertet hatte, angekündigt, das Urteil „modern“ umzusetzen. Die Bundesregierung wolle bis Ende dieses Jahres die Umsetzung des Urteils klären.