Großbritannien ohne EU – Was Ärzte wissen sollten

Deutsche Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Großbritannien, viele wollen Tätigkeiten dort auf ihre Weiterbildung anrechnen lassen. Grundlage dafür sind EU-Verträge und die sogenannte Dienstleistungsrichtlinie 2005/36/EG, die die Anerkennung von Berufsabschlüssen und in diesem Rahmen die Ausübung der Berufstätigkeit innerhalb der EU regelt. Aber wie lange gelten diese Regelungen noch?

Die Briten haben sich gegen den Verbleib in der Europäischen Union (EU) ausgesprochen. Damit ist aber noch nicht der Austritt vollzogen – im Gegenteil: Es stehen harte Verhandlungen bevor. Zudem haben auch Politiker in Nordirland und Schottland bereits das Vereinigte Königreich infrage gestellt, sodass auch innenpolitisch noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.

Doch was wäre wenn? Dann gelten die EU-Verträge nicht mehr. Gleichwohl kann sich in den Verhandlungen mit den übrigen EU-Mitgliedsländern darauf geeinigt werden, für bestimmte Gebiete Regelungen zu schaffen oder beizubehalten, die zum Beispiel die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen und die Ausübung der Berufstätigkeit im Ausland betreffen. – Wichtig dabei ist: Solange die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind, kann Großbritannien seinen Antrag auf den Austritt aus der EU jederzeit wieder zurückziehen.

Zeitplan ungewiss

Den jedoch muss die britische Regierung erst einmal stellen. Das Referendum war erst der Startschuss. Der Antrag muss formell im Kabinett beschlossen werden. Doch ob es in den nächsten Monaten eine handlungsfähige Regierung in London gibt, ist alles andere als klar. Der britische Regierungschef David Cameron hat bereits seinen Rücktritt angekündigt und damit die Konsequenzen aus der Abstimmungsniederlage gezogen.

Wie lange es also dauert, bis der Austritt vollzogen ist, kann niemand vorhersagen. Der EU-Vertrag sieht zumindest vor, dass er nach der Austrittserklärung noch zwei Jahre in Großbritannien angewendet werden kann. Es wäre allerdings eine Fristverlängerung möglich – die jedoch müssen die EU-Mitgliedsländer einstimmig beschließen.

Worst Case: Freizügigkeit erheblich eingeschränkt

Zentraler Gegenstand der Verhandlungen werden auch die Vorteile des Binnenmarkts sein. Welche konkreten Auswirkungen auf die Berufstätigkeit deutscher Ärztinnen und Ärzte in Großbritannien dann zu erwarten sind, hängt davon ab, welchen Status Großbritannien anstrebt und die EU den Briten zugesteht. Denkbar wäre ein Status vergleichbar mit der Schweiz und Norwegen, aber auch ein Status, wie ihn die USA haben. Vielleicht aber verlieren die Briten auch sämtliche Privilegien, die sich aus den bestehenden Abkommen der EU mit anderen Ländern ergeben.

Das hätte gravierende Auswirkungen auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit der dort lebenden Ausländer – allerdings ebenso wie für Briten im EU-Ausland. Inwiefern auf der britischen Verhandlungsseite Interesse daran besteht, Ausnahmen für EU-Arbeitnehmer vorzusehen, ist trotzdem fraglich. Denn einer der entscheidenden Katalysatoren der Brexit-Bewegung war die Kritik an der Einwanderungspolitik. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders bereits kurz nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses twitterte, die Niederlande seien die nächsten.

Vorerst gilt: Abwarten

Doch vorerst gilt es: Abwarten und die Entwicklungen genau verfolgen. Denn die Zerreißprobe kann für Europa auch positiv ausgehen und die Union stärken. Sie kann aber auch der Beginn einer Kettenreaktion sein, die Europa politisch in das vergangene Jahrhundert zurückkatapultiert. (stp)

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