Das Ende der Freiberuflichkeit? – Selbstverwaltungsstärkungsgesetz

Kommt Bundesgesundheitsminister Gröhes Selbstverwaltungsstärkungsgesetz, dann bringt es einen Paradigmenwechsel mit nachhaltigen Veränderungen bis in die Landesebene der Selbstverwaltungen, also der Kassenärztlichen Vereinigungen und zukünftig unter Umständen der Ärztekammern. Es wird das ärztliche Tun im Alltag direkt beeinflussen. Es führt nicht zur Stärkung der Selbstverwaltung, sondern zu einer Stärkung der Rechte der ministeriellen Aufsicht; erkennbar an einer Verlagerung der Rechtsaufsicht zunehmend zur Fachaufsicht. – Ein Beitrag von Dr. Thomas Lipp*

Es drohen der Verlust der Freiberuflichkeit und die Schaffung eines gewerblich tätigen, von Behörden kontrollierten Arztes. Damit wird der Patient zum Kunden – und das Sterben der Selbstverwaltung eingeleitet. Am Ende sind Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) reine Behörden. Die Bereitschaft von Ärzten zur Mandatsübernahme wird schwinden, die Lücke gefüllt durch Angestellte der Behörde. Das ist das Ende der Freiberuflichkeit – von der Selbstverwaltung zur Verwaltung.

Verantwortlich für diese desaströse Entwicklung aus meiner Sicht: Wir Ärzte! Insbesondere aber einige zerstörungswütige Protagonisten auf Bundesebene vor allem in der KBV. Auch die BÄK glänzt nicht durch Geschlossenheit. Es mangelt an politischer Strategie, man verzettelt sich im Reagieren auf Vorgegebenes.

An der Spitze wurde in den letzten Jahren versäumt, wichtige Aufgaben im Sinne der Ärzteschaft zu lösen, wie die GOÄ und die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ein weiteres Übel: Die Unfähigkeit der Schaffung einer modernen Weiterbildungsordnung, ein Minenfeld, welches von den Verbänden regelrecht als Spielwiese einer Konkurrenzverhinderungsordnung betrachtet wird und weiteren Anlass für ein Eingreifen des Ministeriums liefert. Der Staat kann und will sich ein Versagen der Selbstverwaltung nicht leisten. Nun jammern gerade die eigentlichen Verursacher in KBV und Verbänden über die – in der Sache scheinbar folgerichtige – Reaktion: Ein Gesetz aus einem Ministerium. Wenngleich dieses selbst jahrelang der oft eitelkeitsgesteuerten raffgierigen Agonie zusah.

Verbände und Körperschaften finden Akzeptanz, wenn ein Gruppengefühl vermittelt wird, wenn durch ihr Tun positive Veränderungen zu erwarten sind. Körperschaften sind Zeichen übertragener Demokratie, von Stärke eines Berufsstandes wie auch des Staates. Der Staat als Legislative erkennt die Kompetenz von Experten an und macht sich diese zu Nutzen, gibt Regelungsmacht ab und lässt das berufliche Umfeld selbstständig sachkompetent gestalten. Das reduziert staatlichen Dirigismus. Körperschaften sind keine Interessenvertretungen im klassischen Sinne, sie sind staatliche Untereinheiten mit einem bisher noch hohen eigenen Gestaltungsspielraum. Zum Gestalten braucht es Kompetenz, Loyalität und Funktionsfähigkeit.

Genau hier sind die Stellung des Arztes an sich und die der Selbstverwaltung in der Gesellschaft ins Wanken geraten. Ein Teil des Problems liegt im Schwinden der ärztlichen Selbstwahrnehmung als Elite – als eine Gruppe besonders qualifizierter Personen. Gemeint ist damit jeder Arzt als solcher. Elite zeichnet sich aus durch die Übernahme von Verantwortung – nicht durch Privilegien. Die besondere Qualifikation ist dabei untrenar mit der Freiberuflichkeit (ungleich der Selbständigkeit) verbunden. Freiberuflichkeit definiert sich durch Kerninhalte: Persönliche Leistungserbringung, fehlende Übertragbarkeit des beruflichen Tuns, kein Gewerbe, Expertenstatus und gemeinwohlorientiertes Handeln gegenüber Schutzbefohlenen. Diese uns zugewiesenen Aufgaben definieren das Elitedasein des Arztes als Freiberufler. Wenn wir dieser Rolle als Elite im ursprünglichen Sinne nicht gerecht werden, geht die Saat einer Ulla Schmidt auf, die uns den Gestaltungsraum nimmt und uns zu reinen Gewerbetreibenden degradiert.

Wir müssen die an uns gestellten Erwartungen erfüllen, dürfen nicht an internen Machtkämpfen ersticken, müssen uns wieder als Elite im positiven Sinne verstehen. Wir brauchen als Ärzteschaft wieder einen substanziell-basalen Berufskonsens.

Laut und stimmgewaltig aber drängen einzelne Gruppen ihre Interessen der Ärzteschaft als solcher auf. Wen wundert´s, wenn deshalb der Sinn und die Vorteile einer Selbstverwaltung in den Hintergrund treten. Und ist die Selbstverwaltung erst Behörde, die als solche nicht gestaltet sondern verwaltet, schließt sich der Kreis: Auf eine Selbstverwaltung, die nicht gestaltet, kann der Staat verzichten.

Mein Wunsch: Der Anspruch einer starken, sich ihres elitären Auftrages bewussten Ärzteschaft widerspiegele sich im Engagement in den Vertreter- und Kammerversammlungen, in Verbänden. Dort soll innerärztlich heftig diskutiert, gestritten, gerungen, von den Vorständen Gestaltungswillen erzwungen werden. Im Moment dominiert verwaltungsorientierte bräsige Zufriedenheit, oft reiner Zustimmungsmodus. Es funktioniert ja auch – noch – insgesamt nahezu bestens. Ist die Entwicklung alternativlos? Nein, im schlimmsten Fall ist die Alternative der Verlust der Freiberuflichkeit, der Weg führt dann ins Gewerbe. Die Entscheidung treffen wir alle. Jeder für sich.

* Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Landesärztekammer Sachsen, Orginalbeitrag aus dem Ärzteblatt Sachsen, Nr. 8/2016 (Editorial)