„Das Wichtigste ist eine saubere und exakte Leistungsbeschreibung“ – Reinhardt im ÄND-Interview

Ziel der Bundesärztekammer ist es, die neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) noch in dieser Legislaturperiode fertigzustellen. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge – und wie reagiert er auf die nach wie vor vorhandene Kritik am Großprojekt? Der Ärztenachrichtendienst (ÄND) unterhielt sich mit Dr. Klaus Reinhardt, dem Vorsitzenden des GOÄ-Ausschusses in der Bundesärztekammer, über das Thema.

Herr Dr. Reinhardt, kommen wir gleich zur Sache: Nach wie vor gibt es Ärzte, die mit dem GOÄ-Kurs der Bundesärztekammer nicht ganz zufrieden sind. Erst kürzlich hat sich der Vorsitzende der Freien Ärzteschaft, Wieland Dietrich, sehr kritisch über Ihre Arbeit in der Sache geäußert. Wie stehen Sie zu der Kritik?

Man trägt mir das natürlich hin und wieder zu. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass ich mich mit zur Schau gestellter Entrüstung auf Basis von Fehlinformationen, Unkenntnis und Unwahrheiten nur noch sehr bedingt befasse. Das gilt im Übrigen auch für reflexartiges Funktionärsbashing. Das mag ja einer Gruppe Berufs-Entrüsteter gefallen, von denen ja viele offensichtlich davon überzeugt sind, man müsste sie nur machen lassen und schon wären alle glücklich und zufrieden. Ehrlich gesprochen – das ist in Teilen Kindergarten und hilft in der Sache nicht weiter.

Dann schauen wir uns den Stand der Dinge und einzelne Kritikpunkte einmal an. Zunächst: Welche Bearbeitungsstufe hat die neue GOÄ inzwischen erreicht?

Wir sind im Moment dabei, alle Leistungskapitel einem – wie wir es nennen – Qualitätssicherungsprozess zu unterziehen. Der Vorwurf, dass wir dabei „im stillen Kämmerlein“ heimlich vor uns hinarbeiten, ist natürlich grotesk: Es sind über 130 Fachgesellschaften und Verbände angeschrieben und zum großen Teil auch gehört worden. Der Sachverstand aller Fachbereiche fließt dort ein.

Grundlage der Arbeiten ist noch das „Blaue Buch“, eine GOÄ-Vorversion vom Jahresanfang?

Das ist auch so eine gern verbreitete Legende. Das Blaue Buch ist Grundlage von nichts. Es ist ein einseitiger Vorschlag des PKV-Verbandes gewesen, den die Bundesärztekammer im März aus vielerlei Gründen verworfen hat. Das Thema Leistungslegenden erschien uns inkongruent und die Bewertungen waren völlig inakzeptabel.

Aber betriebswirtschaftlich kalkuliert?

Auch das nicht. Es handelte sich nicht um eine Kalkulation der Bundesärztekammer und war auch kein Ergebnis von Verhandlungsprozessen. Es war ein PKV-Vorschlag, erarbeitet durch die Unternehmensberatung McKinsey. Das hat sich die Bundesärztekammer angesehen und unisono verworfen.

Für Verwirrung hatte aber gesorgt, dass im Vorwort des Blauen Buches von „konsentierten Bewertungen“ die Rede war und sich dort auch eine Faksimile-Unterschrift vom ehemaligen GOÄ-Verhandlungsführer Windhorst befand. Was ist da schief gelaufen?

Die PKV hatte aus ihrer Sicht konsentierte Elemente in das sogenannte Blaue Buch eingearbeitet und war ihrerseits von einem Konsens ausgegangen. Es galt damals im März jedoch der gleiche Grundsatz, der unverändert gilt: Einen Konsens kann es nur über alles geben und nichts ist gültig, bevor nicht alle Beteiligten zu allen Teilen zustimmen können. Fazit: Am besten vergessen Sie das Blaue Buch. Es ist Geschichte.

Wie war denn zu dieser Zeit in Sachen Leistungslegenden der Diskussionsstand zwischen Ministerium, PKV und Ihnen?

Sagen wir einmal so: Es gab einen deutlich unterschiedlichen Datenstand zwischen PKV, BMG und BÄK. Das ist ja auch ein Grund dafür, dass wir den die Sache nun an uns ziehen und auch alle Verbände zu den Leistungslegenden befragen. Das wichtigste ist ja zunächst einmal eine saubere und exakte Leistungsbeschreibung. Das ist die Grundlage für alle weiteren Bausteine. Daran haben wir in den vergangenen Wochen gearbeitet und dabei festgestellt: Es gibt Kapitel, in denen schon sehr viel richtig und gut ist – und es gibt auch Kapitel, in denen noch deutlichen Nachbesserungsbedarf besteht. Diesen Nachbesserungsbedarf haben wir nun gemeinsam mit den Verbänden beschrieben und der wird sukzessive der PKV zur Stellungnahme übergeben.

Von Preisen ist also noch nicht die Rede?

Nein – überhaupt nicht. Auch die Bundesärzteordnung ist nicht Gegenstand dieser Gespräche. Diese Themen kommen zu einem späteren Zeitpunkt. Wir werden das natürlich mit den großen Verbänden abstimmen, die fachübergreifend und sektorenübergreifend organisiert sind. Wir brauchen einen Kreis von Akteuren, der handlungs- und diskussionsfähig ist. In diesen großen Verbänden sind viele andere Organisationen in gewisser Form vertreten. Natürlich bekommen wir täglich Anfragen auch von Kleinstverbänden und Einzelpersonen. Dass wir nicht mit allen Gruppen jeden Punkt diskutieren können, hat dann nichts damit zu tun, dass wie die ärztliche Basis düpieren. Es hat mit dem Funktionieren eines Systems und einer Struktur zu tun.

Wann setzen Sie die Verbändegespräche in größerer Runde fort?

Die Gespräche werden den November und Dezember prägen. Dazu gibt es am 8. November auch eine große Einladung der Bundesärztekammer an die Verbände. Auch die Freie Ärzteschaft ist übrigens eingeladen. Da werden wir uns ausreichend Zeit nehmen, um den Sachstand zu erörtern. Am 29. November gibt es dann noch mal einen Workshop in kleinerem Kreis mit Verbändevertretern. Da werden wir uns etwas dezidierter der Bundesärzteordnung und dem Paragraphenteil zuwenden.

Bundesärzteordnung und Paragraphenteil sind ein gutes Stichwort. Sie halten sich nicht an die Beschlüsse des Ärztetages, monieren Kritiker. Es stehe dort eindeutig, dass die neu zu schaffende, Gemeinsame Kommission (GeKo) nur Empfehlungen in Sachen GOÄ abgeben dürfe. Das müsse im Entwurf entsprechend geändert werden.

Das war immer so vorgesehen. Wer jemals die Idee verbreitet hat, dass die GeKo Entscheidungen fällt, weiß ich nicht. Die GeKo kann Empfehlungen an das Ministerium abgeben – und zwar nur einstimmig und einvernehmlich. Sonst ist es keine Empfehlung. Was das Ministerium dann daraus macht, ist ihm anheimgestellt.

Herr Dietrich hat auch darauf hingewiesen, dass die Berechtigung zur Liquidation nach GOÄ laut Ärztetag allein durch die Approbation gegeben sein müsse – was Weiterbildungsvorbedingungen ausschließe.

Genau so ist es geregelt – das war schon auf dem vergangenen Ärztetag klar. Das hat Herr Dietrich offenbar nicht mitgekriegt. Aber diese unkorrekten, vorschnellen Bewertungen, ohne die Fakten verstanden zu haben, haben ja offensichtlich Methode. Das betrifft auch andere Inhalte.

Zum Beispiel?

… ist völlig unzutreffend, dass freie Honorarvereinbarungen nicht mehr möglich seien. Völliger Unsinn. Sie sind weiter unverändert möglich und müssen natürlich wie bisher vor dem Eingriff erfolgen. Ich verstehe nicht, was diese unqualifizierten Einwürfe bezwecken sollen. Ebenso wie die andauernde Forderung, wir müssten doch endlich dem Ministerium, der PKV oder sonst irgendwem die „rote Karte“ zeigen. Was soll das? Das ist in bestimmten Kreisen vielleicht schön für die Galerie der wohlfeilen Forderungen – mit seriösem Vorgehen hat das nichts zu tun. Wenn wir einem Minister Gröhe die rote Karte zeigen, dann sagt der ganz klar: Dann behaltet die alte GOÄ. Wer damit zufrieden ist und so denkt, sollte das auch offen sagen und diese Position einnehmen.

Ich bin der Meinung, dass wir ein seriöses Vorgehen brauchen. Natürlich muss eine neue Gebührenordnung die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Ärzte angemessen berücksichtigen. Sie darf aber auch die Versicherungen – und mittelbar damit den Patienten – nicht überfordern. Die Überforderung einzelner Beteiligter zu verhindern, ist schon deshalb richtig, weil das System sonst gar nicht mehr funktionieren würde. Natürlich: Wenn man das duale Krankenversicherungssystem politisch möglichst bald zur Disposition stellen möchte, muss man einzelne Seiten nur so überfordern, dass sich für dieses System öffentlich niemand mehr stark macht. Wer mich wegen dieser Haltung eines Appeasements bezichtigt, der hat jede rationale Ebene verlassen.

Versuchen wir einmal, rational an das Thema Steigerungsfaktor heranzugehen …

… auf das sich ein näherer Blick lohnt, da wir dort klug agieren sollten. Wir sind aktuell dabei, alle Leistungen betriebswirtschaftlich neu und sauber durchzukalkulieren. Dabei werden wir uns nicht nur auf die Pareto-Leistungen beschränken. Wir wollen am Ende eine Version haben, die lupenrein unsere ist – was das Leistungsgeschehen und auch die Bewertung angeht. Das heißt noch nicht, dass wir alle Bewertungen, die wir da hereinschreiben, auch so umsetzen können. Das ist ein zweites Thema. Erst einmal haben wir dann eine Bewertung, die einer Rationalen folgt und die wir als Referenz für uns einsetzen können. Sie dient im Verhandlungsprozess als Ausgangspunkt.

Zur Frage: Wir werden Einfachsätze kalkulieren, die so robust berechnet sind – ich spreche von einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation – dass sie Mehr- und Minderaufwand in ihrer Kalkulation berücksichtigen. Damit wird ein angemessener und auskömmlicher Einfachsatz kalkuliert. Wir werden uns von der Idee verabschieden müssen, dass wir durch eine Stellschraube im Gebührenrahmen eine Art Multiplikator haben.

Warum das?

Weil im Wesentlichen die Beihilfestellen und auch das Ministerium ein solches Konstrukt für die Zukunft ausschließen. Im Übrigen ist die Behauptung, nur eine Gebührenordnung mit einer solchen Stellschraube sei eine angemessene Gebührenordnung für den freien Beruf, ja auch Unsinn. Weder die Gebührenordnung bei den Anwälten, noch die Ingenieure oder die Steuerberater kennen das. Das gab es in der Vergangenheit nur bei den Ärzten und Zahnärzten. Und in der Realität nutzen wir dieses Instrument schon lange nicht mehr. Wir verwenden den nicht begründungsfähigen Steigerungssatz seit über 20 Jahren als Regelsatz. Das ist ja inzwischen auch höchstrichterlich abgesegnet. Weit über 90 Prozent der Leistungen werden über den 2,3fachen-Satz abgerechnet. Wenn wir dieses Instrument in der Realität also nicht nutzen – warum beklagen wir dann, dass wir es künftig nicht mehr haben werden. Mit solchen Haltungen verspielen wir unsere Glaubwürdigkeit.

Wenn Sie so denken, müssten Sie die Positivliste doch für überflüssig halten …

Es gibt natürlich schwere Sondersituationen, die mittels einer solchen Liste Berücksichtigung finden könnten – ohne Frage. Die PKV sieht dann zwar nur eine Steigerung auf den zweifachen Satz, um die moralische Hürde möglichst hoch zu legen und das zu einem seltenen Vorgang zu machen. Aufgeben würde ich die Liste aber deshalb nicht. Im Grunde sollten wir sie ausbauen und pflegen – und dafür sorgen, dass die wenigen besonderen Situationen, die in einer gut kalkulierten Gebührenordnung nicht ausreichend berücksichtigt werden können, so abgedeckt sind. Wir werden an der Sache also festhalten und sie gangbar machen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass wir Erschwernisbedingungen, die wir in der Vergangenheit festgestellt und über den Gebührenrahmen abgebildet haben – da wo möglich – in eine Leistungsbeschreibung überführen. Insofern ist die exakte Leistungsbeschreibung vor der betriebswirtschaftlichen Kalkulation so wichtig. Erschwernisbedingungen, die nicht regelhaft im Rahmen der Grundleistung auftreten, wollen wir versuchen, als Zuschläge zu formulieren.

Auch im Gespräch mit den Verbänden, nehme ich an. Ganz offensichtlich ist die Zusammenarbeit mit den Fachverbänden nun relativ eng. Hätte dieser Prozess früher starten müssen?

Wenn man sich als Bundesärztekammer denn überhaupt einen Vorwurf machen möchte, dann vielleicht den, dass man sich in der Hektik des politischen Geschehens – und vor dem Hintergrund eines großen Zeitdrucks bis zum Ende der Legislatur – vielleicht tatsächlich mit dem sachlichen und fachlichen Verstand der Verbände zu wenig intensiv und etwas zu spät befasst hat. Ich bin nicht jemand, der keine Fehler zugeben kann. Die Vorwürfe, die im Moment aus der Freien Ärzteschaft kommen, entbehren jedoch jeglicher Grundlage und sind eigentlich rational nicht mehr nachzuvollziehen. Vielleicht liegt das ja auch daran, dass der Vorsitzende nur noch privatärztlich tätig ist. Aber eigentlich ist das eine Arabeske, die den Fortgang der Verhandlungen nicht wirklich tangiert. Wir werden unsere Arbeit auf dem nächsten Ärztetag – so weit wir gekommen sind – vorstellen und dann auch abstimmen lassen. Damit ist der Prozess dann allerdings auch abgeschlossen.

Ich schätze mal, dass dort auch wieder über das Thema „Budget in der GOÄ“ gesprochen wird – also über den Korridor.

Ich glaube, dass inzwischen fast alle Kollegen verstanden haben, dass das nichts mit Budget zu tun hat. Es ist Forderung des PKV-Verbandes, der Beihilfe und auch des BMG, dass wir für die ersten drei Jahre einen Zuwachs-Korridor von 5,8 Prozent – plus minus 0,6 Prozent – festsetzen. Das ist ausschließlich auf den Effekt der Einführung der neuen Gebührenordnung bezogen. Da gehört herausgerechnet: die Morbidität, die demographische Entwicklung oder die Entwicklung der Inanspruchnahme. Das sind technische Vorgänge, die nicht einfach sind und den Verbänden noch im Detail vorgestellt werden. Dass der Korridor in den ersten drei Jahren nicht gerissen werden soll, dient ausschließlich der Stabilisierung des Gesamtsystems. Danach gibt es keine festgelegte Grenze.

Ist es noch Leitlinie der BÄK, die sprechende Medizin zu stärken?

Nicht nur die sprechende Medizin – es geht um die tatsächliche ärztliche Zuwendung, die tatsächliche ärztliche Leistung. Die kann im Gespräch, aber auch in der Operation bestehen, die vom Arzt selbst durchgeführt werden muss.

Werden auch telematische Leistungen eine Rolle spielen?

Auch das wird berücksichtigt, wenn persönliche Leistungserbringung damit verbunden ist.

Wie ist die Politik in Berlin im Moment auf die GOÄ zu sprechen. Gibt es da einen Zeitplan?

Da möchte man Ergebnisse und drängt uns zum Handeln. Es gibt schon einen gewissen zeitlichen Druck – wobei jedem halbwegs klar denkenden Menschen bewusst ist, dass das Thema in dieser Legislaturperiode nicht mehr angefasst wird. Wir glauben aber, dass es trotzdem klug ist, das in dieser Legislaturperiode noch zum Ende zu bringen, damit dieses Paket zwischen den Beteiligten zumindest in den wichtigen Eckpunkten abgestimmt ist und damit auch während des Wahlkampfes im politischen Raum darauf hingewiesen werden kann.

Und wenn es eine rot-rot-grüne Bundesregierung gibt?

Nichts ist unmöglich. Berlin macht es ja gerade vor. Dann bekommt die Debatte natürlich eine ganz andere Qualität. Dann ist die Ärzteschaft gefordert, geschlossen und klar zu signalisieren, dass das duale Versicherungssystem unserem Gesundheitswesen in den vergangenen 60 Jahren geholfen hat und auch Fortschrittsmotor war. Wir müssen für den Erhalt kämpfen und brauchen gute Argumente. Aber die Einstellung „für uns Ärzte muss das mehr Kohle bringen – alles andere ist mir egal“ hilft uns da kein Stück weiter.

(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Ärztenachrichtendienst Verlags-AG)