„Wir drücken praktisch auf Reset.“ – GOÄ: Dr. Klaus Reinhardt im Interview

Die Bundesärztekammer (BÄK) will im Rahmen der Verhandlungen für eine neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) künftig die Verbände intensiv einbeziehen, das Personal aufstocken und sich auch externer Hilfe bedienen. Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, der seit kurzem auch Vorsitzender des Gebührenordnungsausschusses bei der BÄK ist, sprach über die Perspektiven für eine GOÄ-Novelle mit dem Ärztlichen Nachrichtendienst (änd).

Herr Dr. Reinhardt, die Bundesärztekammer hatte am Mittwoch zum Verbändegespräch geladen. Wie war Ihr Eindruck von dem Treffen?

Ich denke, dass es ein wichtiges Gespräch war. Natürlich wurde deutlich, dass es zu bestimmten Punkten unterschiedliche Auffassungen unter den Verbänden gibt. Wir konnten aber auch deutlich machen: Wir werden die einzelnen Fachverbände bei der weiteren Entwicklung der GOÄ intensiv einbinden. Es wird Gesprächsrunden zu den Leistungslegenden geben und wir werden zu gemeinsamen Bewertungen kommen. So können wir zunächst ein rein ärztliches Modell erstellen. Erst in einem zweiten Schritt wird dieses dann mit der PKV und den Vorgaben der Politik konsentiert. Auch auf diese Stufe werden wir die Fachverbände mitnehmen.

Manche Ärzte sind nach wie vor überzeugt davon, dass die PKV eigentlich gar nicht involviert werden sollte.

Diese Einstellung mag auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheinen. Mit der Grundforderung der Politik – die einen Konsens zwischen Ärzteschaft und Kostenträger voraussetzt – ist das aber nicht vereinbar. Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind, wenn wir nun erst einmal ein rein ärztliches Modell abbilden und dann schauen, wo wir eventuell Kompromisse eingehen müssen. Eine komplette ärztliche Verweigerung an dieser Stelle ist nicht sinnvoll.

Warum nicht?

Weil sich die Politik im Zweifel auf die Seite der Versicherten stellen wird. Die dann – vorsichtig ausgedrückt – doch etwas zahlreicher sind. Da ist unsere machtpolitische Situation eine völlig andere. Das Ministerium hat stets betont, dass es die Verhandlungen zwischen Ärzteschaft und PKV auch aufgrund eines Überforderungsschutzes für die Versicherten voraussetzt. Wir müssen da einfach die politischen Realitäten ein Stück weit akzeptieren. Dazu gab es heute auch eine offene und ausgiebige Diskussion. Ich glaube aber, dass die Mehrzahl der Verbände das auch so empfindet.

Einige Verbände könnten sich aber auch mit dem Gedanken anfreunden, einfach einen Inflationsausgleich zu fordern – bei unveränderter GOÄ.

Das ist politisch unrealistisch. Die Politik wird nicht zusätzliches Geld für die alte GOÄ bewilligen, wenn die Arbeiten an einem neuen und moderneren Konzept schon relativ weit fortgeschritten sind. Da heißt es eher: „Macht das Ding doch erst fertig – dann reden wir über die Finanzen“. Darüber hinaus würde Minister Gröhe die SPD nie zu einem solchen Schritt bewegen können. Der Antrieb, eine neue GOÄ überhaupt zu akzeptieren, kommt dort aus dem Verständnis für die Notwendigkeit struktureller Verbesserung eines überalterten Gebührensystems. Der politische Reformwille wäre mit einer Forderung nach einfach mehr Geld verschwunden.

Im Zentrum der Kritik stand lange der neu angelegte Paragraphenteil der GOÄ – und da speziell die Gemeinsame Kommission und der „Korridor“ für die Honorarentwicklung …

… was am Mittwoch natürlich auch noch einmal auf dem Verbändegespräch angesprochen wurde. Auch da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich glaube aber, dass einige Kollegen sich mit dem Paragraphenteil im Detail noch nicht ganz ausreichend beschäftigt haben. Da haben sich ein paar Vorstellungen etabliert, die nur vom Hörensagen entstanden sind.

Am Ende ist es in diesem Punkt eine Frage der Einschätzung unserer Strategie. Ist es nicht klug zu sagen, dass wir während einer Übergangsphase von drei Jahren nach der GOÄ-Einführung bereit sind, über das Mengenvolumen zu diskutieren – und danach nicht mehr? Wir dürfen ja nicht vergessen, dass es eindeutig und nur um eine Übergangsphase geht. Etwas anderes hat auch das Ministerium nie behauptet. Es scheint aber die Angst umzugehen, dass das für immer festgeschrieben wird. Niemand hat das gesagt.

Die Schweizer haben sich bei der Einführung des Tarmed (Tarif für ambulante ärztliche Leistungen in der Schweiz – Anm. d. Red.) übrigens darauf eingelassen, für drei Jahre Nullrunden zu akzeptieren, um den Versicherern die Chance zu geben, sich darauf einzurichten. Danach ist „Open Sky“ die Devise – wie bei uns auch. Dann wird das abgerechnet, was in Anspruch genommen wird.

Ich hoffe, dass die Diskussionen auf dem Ärztetag dazu führen, dass noch mehr Kollegen diesen Blickwinkel teilen. Worauf ich Wert lege: Es sollte den Verantwortlichen nicht grundsätzlich die Einstellung abgesprochen werden, dass sie das Beste für die Ärzteschaft verhandeln wollen.

Ihr Vorgänger – Dr. Theodor Windhorst – hat vom Verhandeln offenbar erst einmal genug.

Wir können sicher sein, dass das, was der Kollege Windhorst verhandelt hat – gemessen an den ursprünglichen Vorstellungen der PKV – etwas ganz vorzügliches ist. Da stand zunächst einmal ein sattes Minus im Raum. Auch hat er eine Öffnungsklausel wegverhandelt, die bei der PKV oben auf der Wunschliste stand. Das sind Leistungen, die man anerkennen sollte. Auf dieser Basis werden wir fortfahren. Dazu gehören nun mehrere Dinge: Wir werden die Legendierungen mit den Verbänden zusammen überprüfen. Auch sind die Bewertungen mit Datenmodellen der Bundesärztekammer zu hinterlegen, wozu wir unser Personal aufstocken und externen Sachverstand einkaufen werden. Da werden wir auch auf die PVS zurückgreifen, die sich ja nun schon angeboten hat. Dann kommen wir irgendwann zu einer detaillierten Abschätzung, worauf wir uns bei den folgenden Gesprächen mit der PKV einlassen. Da werden wir schauen, wo die Vorstellungen auseinander gehen und wie sich ein guter Kompromiss finden lässt.

Sie werden auch weiter mit PrimeNetwork arbeiten, die den Tarmed in der Schweiz entwickelt haben?

Das werden wir. In der Vergangenheit haben wir mit den Experten dort auch schon zusammengearbeitet – aber nicht kontinuierlich. Das ist nun anders geplant. Wir arbeiten gemeinsam, bis das Konstrukt fertiggestellt ist.

Was von dem Konstrukt ist denn schon konkret fertig? In welchem Zustand sind die Leistungslegenden?

Das ist unterschiedlich. Einige Leistungslegenden wurden vor Jahren mit Fachverbänden abgestimmt und danach immer von Einzelexperten mitbetreut. Da werden wir nun gemeinsam mit den Verbänden schauen, ob es Aktualisierungs- oder Änderungsbedarf gibt. Wir drücken praktisch auf Reset: Alle Berufsverbände haben Einsicht und sollen die einzelnen Posten nachvollziehen können. Die Vertreter der Verbände sollen dann auch offen sagen, wo sie noch Probleme sehen. Ich gehe aber davon aus, dass es nur ein ganz geringer Teil sein wird. Dann wird das fertige Modell mit der PKV und GKV erörtert, um dann rasch Einigkeit zunächst bei der Legendierung herzustellen.

Bislang hatten wir das Problem, dass es keinen einheitlich geführten Datenbestand der Legendierungen gab. Das BMG hat natürlich immer schon vorabgestimmte Legenden erhalten und auch darauf gedrängt, diese zu bekommen. Im Detail gab es dann aber Unterschiede in den Datenbeständen von PKV, BMG und BÄK. Wir brauchen aber einen Datensatz – und der soll jetzt hier in der Bundesärztekammer sein. Auf den haben dann alle Zugriff und können die Veränderungen verfolgen. Es werden die Veränderungen, die sich durch die Expertengespräche ergeben, eingepflegt und dann hoffentlich rasch konsentiert.

Dann kommt die PKV plötzlich doch noch mit einem eigenen Vorschlag – erarbeitet von McKinsey – um die Ecke …

Die Gefahr sehe ich nicht. Bei den Legenden sehe ich bislang nur ganz wenig Dissens. Das mag sich durch das Hinzuziehen der Verbände-Experten leicht ändern. Ich gehe aber nicht davon aus, dass wir da große Probleme bekommen. Bei den Bewertungen müssen wir aber ganz deutlich sagen: Die bisherigen Bewertungen, welche die PKV unter Hinzuziehung von Mckinsey ausgearbeitet hat, sind für uns nicht akzeptabel. Wir werden erst einmal von ärztlicher Seite rechnen und uns dann mit den Vertretern der PKV hinsetzten, um zu schauen, was die PKV fordert und wo unsere Grenzen sind. Natürlich steht am Ende eine Verhandlungslösung – und nicht die 1:1 Umsetzung unseres Konzeptes. Uns ist wichtig, dass an diesem Prozess die Verbände auch beteiligt sind. Andernfalls kommen wieder Gerüchte auf, dass die Bundesärztekammer zu sehr im Sinne der PKV verhandelt. Das ist natürlich Unsinn – und solche Unterstellungen helfen auch nicht weiter.

Der Chef des Berufsverbandes der Internisten, Dr. Hans-Friedrich Spies, hat moniert, dass sein Verband nicht in die GOÄ-Gespräche einbezogen wurde.

Da hat er zunächst das Gespräch vom Mittwoch falsch gedeutet: Es ging primär um Informationen über und Erwartungen an den Deutschen Ärztetag in Sachen GOÄ. Dieses Gespräch war überhaupt nicht angesetzt, um verbändeübergreifende Intensivgespräche über GOÄ-Details zu starten. Die Gespräche mit den Fachverbänden fangen in den nächsten Wochen an. Was mich da übrigens wundert: Der BDI hat selbst angeboten, für die Subdisziplinen Experten für diese Gespräche zu organisieren – er war also schon involviert und wusste, dass intensive Gespräche mit den einzelnen Verbänden bevorstehen und jede Fachgruppe zu ihrem Kapitel befragt wird.

Schauen wir nach vorn: Wie sieht der Zeitplan nun aus?

Wir haben uns das Ziel gesetzt, die Sache zum Ende dieses Jahres abzuschließen. Allerdings werden wir uns nicht sklavisch an ein Datum klammern: Es hängt natürlich viel davon ab, wie sich die Gespräche entwickeln und welche Detailproblematiken sich ergeben. Dann muss sich noch zeigen, wie sich das Thema eigene Datenerhebung gestaltet. Wir wollen schon einen sportlichen Zeitplan – aber Präzision hat Vorrang vor Geschwindigkeit. Ziel muss es sein, am Ende ein vernünftiges Konstrukt zu haben, mit dem wir in Verhandlungen gehen können. Dann wollen wir am Schluss einen Konsens erzielen, mit dem die Ärzteschaft leben kann.

Es hieß bislang immer, dass die „sprechende Medizin“ aufgewertet werden soll. Gilt diese Richtlinie noch?

Ja, das ist eine wichtige Grundausrichtung. Die Zuwendungsmedizin beziehungsweise die eigentlich ärztliche Leistung soll stärker betont werden. Das ist auch im Sinne der Patienten und im Sinne des Systems, denke ich. Wenn schon das DRG-System im Krankenhaus stark techniklastig ist, sollten wir es zumindest bei der GOÄ, die wir als Ärzte beeinflussen können, anders machen.

Wird es ein Hausärztekapitel geben?

Nein, das macht keinen Sinn. Das hat inzwischen auch der Hausärzteverband erkannt und nimmt von dieser Forderung wieder Abstand. In der GOÄ können durchaus spezifische hausärztliche Untersuchungselemente formuliert werden – ohne dass da unbedingt Hausarztkapitel drinstehen muss. Das macht systematisch keinen Sinn.

Was erwarten Sie vom Ärztetag in Hamburg in Sachen GOÄ?

Ich hoffe, dass die deutsche Ärzteschaft die Disziplin aufbringt, das Thema sachlich zu diskutieren – und dass in den Debatten nicht zu stark personalisiert wird. Ich weiß, dass es Kreise gibt, die das wünschen und wollen. Ich glaube aber auch, dass uns das kein Stück weiter führt. Das eine hat mit dem anderen nicht viel zu tun. Wir wollen keine EBMisierung der GOÄ – aber auch keine KBVisierung der Bundesärztekammer. Der Austausch von Personen nach dem Motto „heute der, morgen dieser“, bringt die Ärzteschaft nicht weiter. Ich hoffe, dass das langsam ankommt. Vielleicht lässt es sich nicht verhindern, dass Abwahlanträge kommen. Ich glaube aber nicht, dass solche Initiativen von Erfolg gekrönt werden.

(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Ärztenachrichtendienst Verlags-AG)