„Wir sind bereit, für Veränderungen zu kämpfen“ – Reinhardt im änd-Interview

Dr. Klaus Reinhardt

Der Frust in den Praxen über die Gesundheitspolitik wächst. Für den 18. August hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung deshalb KVen und Berufsverbände zu einer Krisensitzung nach Berlin geladen. Was erwarten die Verbände von dem Treffen? Der änd hat sich umgehört. Heute: Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes.

Herr Dr. Reinhardt, wie würden Sie die aktuelle Stimmung unter den Vertragsärztinnen und – ärzten beschreiben?

Die seit Jahren wachsende Unzufriedenheit geht bei Vielen mittlerweile in Resignation über. Und dieser „stille Rückzug“ ist für die Versorgung eigentlich bedrohlicher als Wut und Verärgerung. Denn in der Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen geht es immer häufiger um die Frage, ob man eigentlich mit einem Engagement in der ambulanten Versorgung, ob man mit der eigenen (Gemeinschafts-)Praxis noch auf dem richtigen Weg ist.

Der Spagat zwischen der Motivation durch die Arbeit mit Patientinnen und Patienten einerseits (Stichwort: Deshalb bin ich eigentlich Arzt oder Ärztin geworden) und der Demotivation durch die wirtschaftlichen und strukturellen Bedingungen in der vertragsärztlichen Versorgung andererseits wird immer schmerzhafter.

Fatal sind aber vor allem die Signale aus der Politik. Denn wie in anderen Berufen auch, geht es ja nicht nur um Geld, sondern auch um Würdigung und Anerkennung. Aber das, was da seit Jahren aus der Politik und von den Kostenträgern kommt, ist gekennzeichnet durch Ignoranz gegenüber der wirtschaftlichen Selbständigkeit und eigenverantwortlichen Strukturen. Dahinter steht die Haltung: „Es geht euch doch gut, und zur Not geht es auch ohne euch“ – anders kann man leider viele Entscheidungen und Konzepte nicht mehr deuten. Und das hinterlässt Spuren.

Was sind für Sie die drei größten Probleme in der ambulanten Versorgung?

Am Ende ist es die Kumulation mehrerer Faktoren, die die Lage so herausfordernd und für alle Beteiligten so anstrengend und unbefriedigend macht. Seit Jahren zu niedrige Honorarsteigerungen und die anhaltende Budgetierung verhindern eine auskömmliche Honorierung bei ohnehin niedriger Ausgangsbasis, Einnahmen und Ausgaben klaffen, befeuert durch stark steigende Kosten, immer weiter auseinander.

Die Praxen kämpfen gleichzeitig mit einem eklatanten Fachkräftemangel, sowohl auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte (Nachwuchsproblem) als auch auf Seiten der MFA. Das macht die tägliche Arbeitssituation immer schwieriger, schafft im Praxisalltag eine immer größere Verdichtung – zu Lasten von Patientinnen und Patienten, aber auch für das Personal. Am Ende ist man unzufrieden und ausgebrannt.

Und Problem Nummer drei?

Dass es nach wie vor nicht gelingt, digitale Dysfunktionalitäten und Medienbrüche aufzuheben – im Wesentlichen eine Folge von Overengineering und dem Mangel an klaren, strukturierten Vorgaben für die Industrie – frustriert zudem ebenso wie der fehlende Abbau von sinnloser Bürokratie.

Was fordern Sie von der Politik?

Wir brauchen nachhaltige Konzepte, die langfristig eine angemessene Beteiligung der ambulanten Strukturen an der Versorgung der Zukunft aufzeigen. Zur Sicherung und Aufrechterhaltung der ambulanten Versorgung bedarf es einer adäquaten Finanzierung von Haus- und Facharztpraxen. Die Budgetierung muss endlich überwunden werden und wir müssen über eine grundsätzliche Reform des Honorarsystems sprechen, unter anderem über die Sinnhaftigkeit des Quartalsbezuges.

Außerdem müssen unrealistische Pauschalen und unnötige Bürokratie abgeschafft werden. Und wir brauchen eine echte Beteilung der Selbstverwaltung an gesundheitspolitischen Prozessen.

Durch eine intelligente Versorgungssteuerung müssen Redundanzen von Arzt-Patienten-Kontakten vermieden und begrenzte Ressourcen angemessen eingesetzt werden.

Mit welche Erwartungen gehen Sie in das Krisentreffen?

Wir müssen vor allem auf den Wert der ambulanten Versorgung aufmerksam machen, auf diesen spezifischen unverzichtbaren Mehrwert unseres Gesundheitssystems, der nicht nur die wohnortnahe Versorgung auf hohem Niveau, sondern auch ein hohes Maß an Autonomie und Freiheitsgraden für Patientinnen und Patienten sichert. Die aktuelle Politik blendet diesen Mehrwert aus und tut nichts dafür, ihn zu erhalten.

Und welches Signal sollte von der Sitzung ausgehen?

Akut sollte von der Sitzung vor allem die Botschaft der Ge- und Entschlossenheit ausgehen. Wir sind bereit, für Veränderungen auch zu kämpfen – gemeinsam über alle Arztgruppen hinweg.