Nach Jahren der Trennung wieder vereint

In diesen Ländern steht sie uns (voraussichtlich) bald ins Haus

Das Jahr 1990 war auch für den Hartmannbund ein historischer Zeitpunkt – der älteste Ärzteverband Deutschlands kehrte zu seinen  Wurzeln zurück. In Leipzig, wo der Hartmannbund 90 Jahre zuvor als Leipziger Verband gegründet wurde, fand drei Monate nach dem Mauerfall eine Informationsveranstaltung für DDR-Ärzte statt. Noch im selben Jahr gründeten sich in allen neuen Bundesländern Landesverbände und fand im Oktober die erste gemeinsame Hauptversammlung statt.

Der damalige Vorsitzende des Hartmannbundes, der Allgemeinmediziner und heutige Ehrenvorsitzende Dr. Hans-Jürgen Thomas (Bild rechts), war erst wenige Tage im Amt, als im November 1989 die Mauer fiel. „Bereits zwei Tage später haben wir uns im Hartmannbund-Haus in Bonn getroffen und überlegt, was mir machen können“, erinnert sich der 75-Jährige. Die Entscheidung fiel schnell: „Wir wollten nach Leipzig an unseren Gründungsort und dort die DDR-Ärzte unterstützen.“ Nur drei Monate später – am 17. und 18. Februar 1990 – lud der Hartmannbund in die damalige Leipziger Sporthochschule der DDR zu einer Informationsveranstaltung ein. Um die zahlreich angekündigten Ärzte verpflegen zu können, hatte der Hartmannbund extra über das Lufthansa-Catering Verpflegungspakete anliefern lassen.

Am Ende waren mehrere Hundert DDR-Ärzte in den Hörsaal der Sporthochschule gekommen, um sich über den Hartmannbund, die Strukturen des bundesdeutschen Gesundheitssystems und Wege in die ärztliche Selbständigkeit zu informieren. Die Ärzte in der DDR, so Thomas, seien damals in einer schwierigen Situation gewesen – die meisten arbeiteten angestellt und fürchteten auf Grund der bevorstehenden Umstrukturierungen um ihre Jobs. Deshalb hätten bereits Anfang 1990 viele von ihnen darüber nachgedacht, sich niederzulassen, sobald dies möglich werden würde. „Bei diesen Überlegungen wollten wir so gut wir konnten unterstützen“, so Thomas.

Auftakt dafür war die Leipziger Veranstaltung, auf der es ein Symposium und viele Einzelgespräche gab. Allein an diesen beiden Tagen waren Hunderte Ärzte dem Hartmannbund beigetreten. Parallel dazu wurden Termine mit engagierten Ärzten in anderen DDR-Regionen organisiert, um vor Ort zu unterstützen und Landesverbände zu gründen.

Die ersten Landesverbände waren die in Sachsen (3. März) und Thüringen (10. März). Am 7. und 8. April tagte der Geschäftsführende Vorstand des Hartmannbundes zum ersten Mal mit den Vorständen der neuen Landesverbände aus Sachsen und Thüringen in Kassel und verabschiedete als erster Ärzteverband ein Papier für eine zukünftige Gesundheitspolitik in beiden Teilen Deutschlands – die „Kasseler Erklärung“. Diese enthielt die groben Richtlinien, nach denen nach Meinung des Hartmannbundes eine Überführung des Gesundheitssystems der DDR im Bereich der ambulanten  Versorgung, aber auch der Krankenhäuser und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes vorzunehmen sein würde. Wichtige Punkte waren unter anderem:

    • Schaffung von Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen
    • Ablehnung jedweder Einheitsversicherung
    • Schaffung eines gegliederten Krankenhausorganisationssystems in Selbstverwaltung
    • Ersatz des bisherigen DDR-Systems der zentralverwalteten ambulanten  Versorgung durch Übertragung des Sicherstellungsauftrages für die ambulante Versorgung allein auf die KVen unter  Abschaffung des Kreis- und Bezirksärzte-Systems
    • Ersatz der staatlichen Trägerschaft von Polikliniken, Ambulatorien, Ambulanzen und Staatspraxen durch Übertragung auf freigemeinnützige und private, sozialmarktwirtschaftlich orientierte Träger
    • Ersatz des staatlichen medizinischen Versorgungsmonopols durch Verankerung folgender Grundsätze: 
      • Freie Arztwahl
      • Freiberuflichkeit des  Arztes
      • Niederlassungsfreiheit
      • ärztliche Selbstverwaltung
      • Vertragsfreiheit mit den Krankenkassen
      • Sicherstellungsauftrag durch die KVen

 

Der Hartmannbund hatte damals wie heute ein großes politisches Gewicht und konnte sich durch viele Gespräche in die „Vereinigung“ beider deutscher Gesundheitssysteme einbringen. So wurde unter anderem mit dem für die  „Verschmelzung” verantwortlichen Minister für  Arbeit und Soziales, Dr. Norbert Blüm, und dem letzten DDR-Gesundheitsminister Prof. Dr. Jürgen Kleditzsch gesprochen.

Im Juli 1990 war der Weg frei für  Veränderungen, verabschiedete die  Volkskammer der DDR ein Gesetz über die Berufsvertretung und die Berufsausübung der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker. Damit konnten Körperschaften des öffentlichen Rechts geschaffen werden, die ein Pendant zu den westdeutschen Ärztekammern bilden sollten – und das alles gerade acht Monate nach dem Mauerfall.

„Die Schnelligkeit, mit der die Wiedervereinigung vor sich ging, hat uns alle überrascht“, so Thomas. Auch der Hartmannbund sei davon überzeugt gewesen, dass das DDR-Gesundheitssystem nicht gut mit dem  Anspruch auf die freiberufliche Tätigkeit der Ärzte vereinbar gewesen wäre. Vielleicht, so Thomas rückblickend, hätte man die Polikliniken teilweise erhalten sollen, aber 1990 konnten sich solche Überlegungen nicht durchsetzen.

Für den Hartmannbund war die Wendezeit eine bedeutende Zeit. Bis zum Juni 1990 hatten sich in allen neuen Bundesländern Landesverbände gegründet und im Oktober 1990 fand die erste gemeinsame Hauptversammlung statt. „Wir haben damals sehr viel gearbeitet, hatten aber auch jede Menge Spaß“, erinnert sich Thomas mit Freude und Stolz zurück. (arn)